Kein Krieg! Eskalation vermeiden! Besonnenheit statt Hysterie!

Stellungnahme von Markus Kurth, 13. September 2001

Noch immer aufgewühlt von den Ereignissen des 11. Septembers erfuhren wir gestern abend, dass die Regierungen der NATO-Staaten den Bündnisfall festgestellt haben. Bereits unmittelbar nach den grauenhaften Anschlägen sprach nicht nur Bundeskanzler Schröder vom "Krieg", der gegen die gesamte "zivilisierte Welt" geführt werde.

Der Krieg droht!

Es besteht sicher kein Zweifel, dass die Täter durch eine gemeinsame Anstrengung aller Staaten gefunden und vor Gericht gestellt werden müssen. Es ist allerdings völlig verantwortungslos, im Zusammenhang mit diesen Terrorakten - so monströs sie auch waren - von einem Kriegsfall zu sprechen. In Verbindung mit einer Unterscheidung in eine "zivilisierte" und "unzivilisierte" Welt weckt die Rede vom Krieg und die Feststellung des "Bündnisfalls" schlimmste Befürchtungen. Vergegenwärtigen wir uns zudem, dass US-Präsident Bush "keinen Unterschied" machen will zwischen "Terroristen und Staaten, die diesen Unterschlupf gewähren", so müssen wir uns erkennen, dass die Bundesrepublik Deutschland nur wenige Schritte von einem Krieg entfernt steht, dessen Folgen überhaupt nicht absehbar sind. Möglich scheint ein Krieg, der sich über mehrere Staaten erstreckt. Denn es ist - so Experten - davon auszugehen, dass die Täter in einem Netzwerk über mehrere Länder verteilt sind, wenn sie aus dem Umfeld von Ossama bin Laden kommen.

Krieg zerstört die Demokratie!

Eine massive militärische Racheaktion würde allerdings den Terroristen in die Hände spielen. Wird bei der Verfolgung der Täter der Tod von Unschuldigen in Kauf genommen oder sogar massenhaft herbeigeführt - etwa um die afghanische Regierung zur Auslieferung bin Ladens zu zwingen - wachsen neue Terroristen hundertfach nach. Die Verzweiflung über die gesichtslose Gewalt darf nicht zu einer Multiplikation des Hasses führen. Rechtsstaatliche Demokratien hören auf als solche zu existieren, wenn sie ihre eigenen Prinzipien außer Kraft setzen. Die Gefahr einer gewaltsamen Verhärtung besteht auch nach innen. Mit dem Verteidigungsfall tritt automatisch die sogenannte Notstandsgesetzgebung aus den 60er Jahren in Kraft und viele Grundrechte würden nicht mehr gelten oder könnten eingeschränkt werden (etwa Recht auf Versammlungsfreiheit, Recht auf Freizügigkeit). Bereits jetzt mit Feststellung des sogenannten "Spannungsfalls" können das Fernmelde- und Postgeheimnis sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung beschnitten werden. Auch ohne den zu befürchtenden Krieg steht zu vermuten: Mit Hinweis auf die Verfolgung der Terroristen werden Staatsorgane ihre Regelverstöße gegenüber BürgerInnenrechten begründen. Damit werden die BürgerInnenrechte sowie rechtsstaatliche Grundsätze noch stärker als bisher schon gefährdet sein.

Was tun?

Statt zum Großangriff - gegen wen auch immer - zu blasen, ist es jetzt außerordentlich wichtig, Besonnenheit zu wahren. Die Spirale der Gewalt muss durchbrochen und das mörderische Kalkül zur Multiplikation des Hasses, auf das es die Täter anlegen, muss durchkreuzt werden. Eine Verfolgung der Täter nach rechtsstaatlichen Prinzipien und eine Bestrafung vor dem internationalen Strafgerichtshof müssen das kurzfristige Ziel sein. Gleichzeitig muss eine langfristige Änderung der Sicherheitspolitik im internationalen System jetzt begonnen werden. Terrorismus hat eine gesellschaftliche Basis, die in ungelösten, verschleppten und schwärenden Konflikten liegt, die letztlich auf sozialen, ökonomischen und politischen Ungleichheiten fußen. Diese Konfliktursachen zu bekämpfen muss zentraler Bestandteil einer wirksamen Strategie gegen den Terrorismus sein. Daher kommt dem Engagement für eine friedliche Globalisierung, einer Globalisierung von sozialer Gerechtigkeit, Demokratie, universellen Menschenrechten, Geschlechtergerechtigkeit und Ökologie eine größere Bedeutung zu als je zuvor. Diese Politik können und müssen wir hier vor Ort einfordern. Wir können sofort mit E-Mails, Briefen und Telefonaten versuchen, die deutschen PolitikerInnen dazu zu bewegen, die fatale Erklärung des Kriegszustands zurückzunehmen. Zeigen wir, dass trotz der beginnenden medialen Kriegsvorbereitung nicht unseren Kopf verlieren! Verlassen wir uns auf unsere Urteilskraft! Entwickeln wir Tatkraft - für den Frieden!

Markus Kurth, 13. September 2001