Jahrestag der "Dortmunder Polizeikessel"

Gemeinsame Pressemitteilung des Kreisverbands Dortmund und der Notgemeinschaft Polizeikessel-Betroffener, 17. Dezember 2001

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dortmund und die Notgemeinschaft Polizeikessel-Betroffener NRW erklären gemeinsam:

Anlässlich der antifaschistischen Demonstrationen in Dortmund am 21.10.2000 und 16.12.2000 wurden fast tausend Menschen, zumeist junge Leute, stundenlang in Polizeikesseln festgehalten, dann gefesselt transportiert und unter teilweise skandalösen Bedingungen stundenlang im Polizeigewahrsam festgehalten.

  1. Eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle ist versprochen worden, die Ergebnisse waren aber für alle Kessel-Betroffenen enttäuschend. Sämtliche Ermittlungsverfahren nach dem 21.10.2000 gegen Polizeibeamte wurden mangels Tatverdacht eingestellt. Beschuldigte Polizisten konnten nicht identifiziert werden. Die Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte nach dem 16.12.2000 liegen noch bei der Staatsanwaltschaft Essen. Entscheidungen sind noch nicht bekannt gegeben worden.

    Wir fordern eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle von individuellem Fehlverhalten von Polizeibeamten
  2. Der Polizeipräsident hat sich nur für "Pannen" in der Abarbeitung der in Gewahrsam genommenen Personen entschuldigt, nicht für die Polizeieinsätze, nicht für die Übergriffe auf friedlich Demonstrierende, nicht für die Diffamierung als Gewalttäter und auch nicht für die erlittenen Demütigungen und Angsterlebnisse.

    Wir fordern
    • eine grundsätzliche und umfassende Entschuldigung bei den Opfern der Polizeieinsätze
    • eine öffentliche Rehabilitation
    • eine Wiedergutmachung
  3. Wir sind empört, dass die Ermittlungsverfahren aus dem Oktoberkessel nicht mangels Tatverdachts eingestellt wurden. Für die Jugendlichen hat dies einen Eintrag in das Erziehungsregister zur Folge. Die Betroffenen bzw. deren Eltern wurden hierüber nicht informiert. Dieser Eintrag stellt keine Lappalie dar, die Jugendlichen haben in den Augen der Justiz und der Jugendämter nun keine "reine Weste" mehr.

    Aber es gibt Anlass zu weiterer Sorge: Seit dem 24. Oktober 2000 gibt es eine Datei über "linksorientiert politisch motivierte Gewalttäter", "LIMO" genannt. Sie ist Teil des Politischen Informationssystems "Inpol". Laut Auskunft des Bundesinnenministeriums vom 8. 10. 2001 landen in dieser Datei nicht nur "rechtskräftig Verurteilte", sondern auch Erkenntnisse über "Beschuldigte" sowie über Personen, die "zur Verhinderung von Straftaten" in Gewahrsam genommen wurden, Platzverweise erhielten und deren Personalien im Rahmen solcher Anlässe festgestellt wurden. Deshalb ist zu befürchten, dass personenbezogene Daten aus den Ingewahrsamnahmen in Dortmund in dieser Datei gelandet sind. Die Einträge werden grundsätzlich ohne Benachrichtigung der Betroffenen vorgenommen. Auch Kinder werden eingetragen. Zugriffsberechtigt sind der Staatsschutz, die Landeskriminalämter, das BKA, die Grenzschutzämter und -direktionen, die Polizeibehörden und der BGS. Wer in der LIMO steht, gilt für diese Behörden als Gewalttäter.

    Wir fordern
    • die eine Einstellung der Ermittlungsverfahren mangels Tatverdacht
    • die Tilgung der Einträge aus dem Erziehungsregister
    • keine Einträge in die LIMO vorzunehmen bzw. bereits erfolgte Einträge unverzüglich zu löschen
    • die Löschung der aus den Ingewahrsamnahmen erhobenen Daten aus Polizei- und Staatsschutzdateien
  4. Betroffene, Jugendliche und ihre Eltern haben jedes Gesprächsangebot angenommen: im Düsseldorfer Landtag, im Dortmunder Rathaus und im Polizeipräsidium. Unermüdlich haben Betroffene von ihren schlimmen Erlebnissen berichtet, gebetsmühlenartig wurden von Polizei und Innenministerium die bekannten Begründungen wiederholt. Den Opfern der Polizeikessel wurde Verständnis für den Polizeieinsatz abverlangt, während die Verantwortlichen für diesen Polizeieinsatz sich nicht ausreichend bemühten, die Position der Jugendlichen und ihrer Eltern zu verstehen und ihre Motive öffentlich anzuerkennen.

    Wir fordern von Politik und Polizeibehörden eine Diskussions- und Verständigungsbereitschaft mit den betroffenen Jugendlichen

  5. Entgegen der Zusagen leitender Polizeibeamter und entgegen aller Verlautbarungen aus dem Innenministerium lässt sich aus zahlreichen Einsätzen der Polizei bei antifaschistischen Versammlungen keine durchgängige Strategie der Deeskalation erkennen. Der Polizeieinsatz in Hagen-Wehringhausen am 17.11.2001 ist ein weiteres erschreckendes Beispiel hierfür.

    Wir erinnern die polizeilich und politisch Verantwortlichen an ihre Versprechen, in Zukunft deeskalierend zu handeln. Wir erwarten, dass sich die Polizeibehörden und die verantwortlichen Einsatzleiter bei der Behandlung von antifaschistischen Versammlungen an die Vorgaben des Versammlungsgesetzes halten und angemessen und liberal im Sinne der diesbezüglichen Rechtsprechung des BVG und des OVG NRW handeln.

Cover BuntspechtAus oben genanntem Anlass erschien außerdem eine Sonderausgabe unseres GRÜN-alternativen Magazins "Buntspecht". Das Heft ist während der Öffnungszeiten unserer Geschäftsstelle erhältlich. Ergänzende und aktuelle Informationen finden Sie auf www.dortmunder-polizeikessel.de.