Ein großer Sieg für die GRÜNEN - Zahlen und Trends der Bundestagswahl 2002

Eine kleine Wahlanalyse von Markus Kurth

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 5/2002, 2. Oktober 2002

Eigentlich würde ich gern über Erfahrungen aus dem Wahlkampf und über meine erste Woche in Berlin schreiben, doch schuldig bin ich für diesen Basisdienst eine Wahlanalyse mit Zahlen und Interpretationen. Und die ist auch wichtig. Denn die Grünen können nicht nur im Bund, sondern auch in Dortmund Honig saugen aus diesem außergewöhnlichen Wahlergebnis. Wir sollten unsere Chancen nicht verspielen ....

Allgemeine Trends: CDU/CSU gewinnt fast nur in Bayern und Baden-Württemberg - SPD verliert in NRW und Bayern

Die am meisten beachteten Ergebniswerte der Bundestagswahl sind die in den Hochrechnungen immer wieder gezeigten Prozentzahlen der Parteien am bundesweiten Gesamtergebnis. Dies ist insofern berechtigt, als sie am ehesten eine Aussage über die Zusammensetzung des Bundestages ermöglichen. Zum Verständnis des Wählerverhaltens tragen diese Zahlen aber sehr wenig bei, da die einzelnen Tendenzen und Entscheidungsprozesse der Wähler in diesen Zahlen nicht mehr erkennbar sind. Besser erkennbar sind die tatsächlichen Vorgänge durch die Betrachtung der absoluten Zahlen, wenn sie auch auf regionaler Ebene berücksichtigt werden.

Die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der Union ist gebrochen

CDU/CSU haben 2002 etwas über 1,1 Millionen Stimmen mehr erzielt als 1998. Dies ist aber keineswegs ein einheitlicher Bundestrend. Von den gewonnenen Stimmen entfallen nämlich 86% (fast 1 Million) alleine auf die CSU und damit auf Bayern. Die CDU hat im übrigen Bundesgebiet nur um 160.000 Zweitstimmen zulegen können. Der Trend außerhalb Bayerns ist für die CDU im Ganzen gesehen nicht auffallend positiv. Wesentliche Gewinne wurden nur in Baden-Württemberg mit knapp 300.000 zusätzlichen Stimmen erzielt. Dem stehen allerdings spürbare Verluste gegenüber: in allen neuen Bundesländern (insgesamt -165.000) mit Ausnahme Brandenburgs (+20.000), sowie in Bremen und Hamburg. Nennenswerte Steigerungen konnte die CDU im Westen nur in Hessen, Berlin und im Saarland erzielen (zusammen gut 50.000 Stimmen). In allen anderen Bundesländern, einschließlich NRW, blieb ihr Ergebnis praktisch gleich wie 1998. Insgesamt ist die Bilanz außerhalb Baden-Württembergs für die CDU als eigene Partei deutlich negativ.

Diese Beobachtung legt die Hypothese nahe, dass die Behauptung von Stoiber, im Wahlkampf alles richtig gemacht zu haben, sich vor allem auf seine bayrische Abstammung bezieht. Die Hauptursache der Steigerung der CDU/CSU scheint die Mobilisierung bayrischer Wähler zu sein, die einen Landsmann im Bundeskanzleramt sehen wollten. Auf einen solchen Effekt der Mobilisierung ehemaliger Nichtwähler deutet auch, dass Bayern als einziges Bundesland eine höhere Wahlbeteiligung als 1998 erreichte und über 380.000 Wähler mehr abstimmten als vor vier Jahren.

SPD verliert dramatisch in NRW und Bayern, Gewinne nur im Osten

Die SPD hat bei dieser Bundestagswahl knapp 1,7 Millionen Stimmen weniger erzielt als vor vier Jahren. Fast zwei Drittel dieser Verluste entfielen auf NRW (-600.000 Wähler) und Bayern (-480.000). In NRW verlor die SPD gegenüber 1998 jeden neunten, in Bayern sogar jeden fünften Wähler. In Rheinland-Pfalz verlor die SPD relativ auf dem gleichen Niveau wie in NRW, wegen der geringeren Größe des Landes ist die absolute Zahl verlorener Stimmen (-111.000) aber deutlich geringer. Der Verlust im Saarland liegt relativ gesehen fast auf demselben Niveau wie in Bayern, absolut sind es aber nur 66.000 Stimmen weniger für die SPD.

In den übrigen großen westlichen Bundesländern Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg verlor die SPD jeweils etwa 130.000 Stimmen. In Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Berlin gingen insgesamt noch einmal 150.000 Stimmen verloren.

Stimmengewinne erzielte die SPD in den neuen Bundesländern mit Ausnahme Sachsen-Anhalts, wo das Ergebnis praktisch gleich blieb. Der gesamte Gewinn im Osten ergibt aber lediglich 100.000 Stimmen und kann die hohen Verluste im Westen nicht kompensieren.

Der Verlust in NRW hängt möglicherweise mit der Verunsicherung der Wähler über die Absichten des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in Bezug auf die rot-grüne Koalition zusammen. Grüne und FDP haben in diesem Land jeweils etwa gleich viele Stimmen hinzugewonnen, zusammen aber sehr viel weniger als die SPD verlor. Die CDU hat von diesen Verlusten nicht profitiert, die Zahl der Nichtwähler ist aber erheblich gestiegen. Relativ am geringsten waren die Verluste der SPD in Niedersachsen, aber auch hier verlor die SPD jeden zwanzigsten Wähler.

GRÜNE gewinnen fast überall

Der Erhalt der rot-grünen Mehrheit im Bundestag ist der Tatsache zu verdanken, dass die GRÜNEN 800.000 Stimmen mehr erzielten als 1998 und damit fast die Hälfte des Verlustes der SPD kompensieren konnten. Die Grünen konnten damit bundesweit die Zahl ihrer Wähler um etwa ein Viertel vergrößern. Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen haben die Grünen in allen Bundesländern ihre Stimmenzahl steigern können. Die Verluste in diesen drei Ländern betragen aber zusammen weniger als 14.000 Stimmen, und haben fast keinen Einfluss auf das Bundesergebnis.

Am deutlichsten waren die Gewinne der GRÜNEN in Hamburg und Schleswig-Holstein, wo sie ihre Stimmenzahl um fast die Hälfte erhöhen konnten. Auch die bayrischen GRÜNEN konnten ihre Stimmenzahl um mehr als ein Drittel erhöhen. In den übrigen westlichen Ländern und Brandenburg entsprach die Erhöhung der grünen Stimmenzahl etwa dem Bundesdurchschnitt, in Mecklenburg-Vorpommern fiel sie deutlich geringer aus.

PDS verliert überall

Die PDS erzielte insgesamt 600.000 Stimmen weniger als 1998. Sie verlor in allen Bundesländern, aber entscheidend sind nur die Verluste in den neuen Ländern und Berlin. Außer in Brandenburg und Berlin verlor die PDS überall mehr als ein Drittel ihrer Wähler, in diesen beiden Ländern etwa ein Fünftel.

In allen neuen Ländern ist die Zahl der abgegebenen Stimmen um etwa ein Zehntel gesunken, insgesamt waren es dort gegenüber 1998 fast 800.000 weniger. Es liegt nahe zu vermuten, dass ehemalige PDS-Wähler zu einem großen Teil nicht mehr an der Bundestagswahl teilgenommen haben.

Das Dortmunder Wahlergebnis der GRÜNEN Partei

Die GRÜNEN sind in Dortmund eindeutige Wahlgewinner. Das Dortmunder Ergebnis von 10;3 % und der stadtweite Zuwachs von 2,6 % liegen sowohl über dem Landesdurchschnitt als auch über dem Bundesdurchschnitt. Dieser Erfolg ist sicher nicht nur auf den Wahlkampf vor Ort zurückzuführen. Dortmund liegt bei den Zuwächsen im Trend: Überall in den Hochburgen - den Unistädten und Metropolen - konnten Bündnis 90/Die Grünen überdurchschnittliche Zuwächse zu ohnehin sehr guten Ausgangspositionen erzielen. In Köln gab es Zuwächse von rund 4 % und ein Gesamtergebnis von 16 %. Offensichtlich ist es gelungen, die Grüne Stammklientel in hohem Maße zu mobilisieren und den Anteil der GrünwählerInnen in den Alternativmilieus, den studentisch/akademisch geprägten Kreisen sowie in den postmaterialistisch orientierten Mittelklasseschichten auszuweiten. Dieser Trend ist auch innerhalb Dortmunds sehr klar zu sehen.

GRÜNE Hochburgen in Dortmund gestärkt

Die höchsten Zuwächse mit über 3 % gab es in den Innenstadtbezirken, die allesamt mit guten zweistelligen Ergebnissen aufwarten konnten. Der Stadtbezirk Innenstadt-West (17 % der Zweitstimmen!) und hier insbesondere das Kreuzviertel bleiben unsere Hochburgen. In den beiden Wahllokalen in der Liebig-Grundschule (d.h. in der Gegend um die Essener Straße/Arneckestraße/Lindemannstraße) landeten die GRÜNEN mit gut 30 % der Zweitstimmen deutlich vor der CDU (14 %) auf dem zweiten Platz. Bei der Kommunalwahl 1999 waren wir dort nach Prozenten mit 34 % noch ein bisschen besser und wurden sogar stärkste Partei im Kreuzviertel, doch nach absoluten Stimmen haben wir hier wie in den anderen Hochburgen noch leicht zugelegt. Diesen Topergebnissen stehen zwar beachtliche, aber eben schwächere Zuwächse in den klassischen GRÜNEN "Problembezirken" gegenüber. Immerhin konnte in Scharnhorst sogar die 6%-Marke übersprungen werden, doch insgesamt bleiben die vom typischen SPD-Arbeitermilieu geprägten Bezirke Scharnhorst, Eving, Huckarde und Mengede die GRÜNE Diaspora.

Die GRÜNEN sind in Dortmund eindeutige Wahlgewinner. Das Dortmunder Ergebnis von 10,3 % und der stadtweite Zuwachs von 2,6 % liegen sowohl über dem Landesdurchschnitt als auch über dem Bundesdurchschnitt.

Partei Bundestagswahl 2002
Dortmund insgesamt
Bundestagswahl 1998
Dortmund insgesamt
Gewinne Verluste
SPD 53,1% 56,7% - 3,6
CDU 25,0% 24,2% + 0,8
GRÜNE 10,3% 7,7% + 2,6
FDP 7,4% 5,2% + 2,2
Sonstige 4,2%
(davon PDS 1,7%)
6,2% - 2,0

Im Vergleich zu den anderen Parteien zeigt sich, dass die PDS in den gleichen Stimmbezirken wie die GRÜNEN stark ist, aber insgesamt ziemlich kläglich dasteht (bestes Wahllokal 6,1 %). Die FDP erreicht im Dortmunder Süden ihre besten Ergebnisse, erzielt aber ihre höchsten Zuwächse in den Gegenden, in denen die GRÜNEN unterdurchschnittlich abschnitten. Allerdings bleibt die FDP auf ganzer Linie hinter den Grünen zurück, wenngleich das Resultat der rechtspopulistisch-wirtschaftsliberalen Spaßpartei noch viel zu gut ist.

Perspektive 2004

Die Sozialdemokraten haben wieder Oberwasser und ihr Unterbezirkschef Wegmann spricht bereits öffentlich vom "Betriebsunfall Kommunalwahl 1999" und davon, dass nun die Rückeroberung der absoluten Mehrheit im Stadtrat 2004 ansteht. Das sollte der Kreisverband Dortmund doch tunlichst verhindern und ein Blick auf die absolute Zahl der Stimmen zeigt, dass wir durchaus über das Potential verfügen, bei der nächsten Kommunalwahl ein GRÜNES Projekt 18 anzupeilen. 34.696 Menschen haben in Dortmund BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewählt - so viele wie nie zuvor! Bei der Kommunalwahl 1999 waren es 24.093 Stimmen und bei der Landtagswahl 2000 sogar nur 20.313 Stimmen. Das Stammwählerpotential, das man anhand der Erststimmen bei der Bundestagswahl 1998 sowie anhand der OB-Wahl 1999 grob bei rund 18.000 Stimmen veranschlagen konnte, ist gewachsen. Es ist nun sogar größer als die gesamte GRÜNE Stimmenanzahl bei der vergangenen Landtagswahl: 21.128 Menschen haben dieses Mal sogar mit ihrer Erststimme GRÜN gewählt! Gelingt es uns, im September 2004 die gleiche Anzahl der WählerInnen zu gewinnen wie im September 2002, ist bei ähnlicher Wahlbeteiligung wie 1999 ein kräftiger Zuwachs drin. Und den wird es auch brauchen. Denn die CDU bekommt in Dortmund kein Bein an die Erde und hat sich gegenüber 1998 nicht verbessert. Die Kommunalwahl 1999 scheint nur ein Zwischenhoch gewesen zu sein und angesichts der derzeitigen CDU-Ratspolitik ist es wenig wahrscheinlich, dass sich die Christdemokraten große Sympathien erwerben. Das ist zwar einerseits erfreulich, im Hinblick auf die immer noch vorhandene Stärke und Arroganz der Dortmunder SPD jedoch besorgniserregend. Wir werden den Schwung aus diesem Wahlerfolg sofort ummünzen müssen (neue Mitglieder, neue AG's, neue Aktive, neue SpenderInnen usw.), um bei der Kommunalwahl 2004 eine absolute Mehrheit verhindern zu können. Nach der Wahl ist eben vor der Wahl.