Mit allen Kräften gegen Gewalt an Frauen und Kindern

Frauenpolitische Strukturen und Hilfseinrichtungen für Opfer dürfen nicht zerschlagen werden

Antrag an den Landesparteirat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW am 8. September 2002 in Bonn-Bad Godesberg

In den sieben Jahren rot-grüner Koalition in NRW haben sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konsequent für frauenpolitische Anliegen eingesetzt und viele Erfolge erzielt. Bereits der Koalitionsvertrag von 1995 wurde durch GRÜNE entscheidend geprägt und konnte so einen Weg weisen, der in bisher nie da gewesener Weise eine Selbstverpflichtung einer Landesregierung zum Ausbau frauenpolitischer Strukturen und Maßnahmen gegen Gewalt und für stärkeren Opferschutz verankerte. Im Frauenkapitel steht: "Das in Nordrhein-Westfalen entwickelte umfassende Konzept gegen Gewalt an Mädchen und Frauen, das Schutz und Hilfe für die Opfer, eine konsequente Bestrafung der Täter, Opferschutz im Verfahren, Entschädigung der Opfer und Prävention beinhaltet, soll umgesetzt und fortgeschrieben werden."

Es gelang in der Folgezeit neben der rechtlichen und konzeptionellen Weiterentwicklung ein beachtlicher Förderausbau von Frauenprojekten, -selbsthilfeinitiativen und -einrichtungen. Durch das neue Gewaltschutzgesetz auf Bundesebene (seit 01.01.2002) wurde ein Paradigmenwechsel auf dem Gebiet des Zivilrechts eingeleitet: "Wer schlägt, muss gehen!" NRW griff als eines der ersten Länder den gesetzgeberischen Impuls offensiv auf: der Landtag NRW beschloss die Novellierung des Polizeigesetzes und schrieb die gestärkte Stellung von Frauen und Kindern auch für den polizeilichen Einsatz fest.

Bei allen schwierigen Haushaltsverhandlungen der vergangenen Jahre in Zeiten knapper Kassen hat die Beharrlichkeit der grünen Verhandlungskommission bewirkt, dass die Förderung frauenpolitischer Maßnahmen dennoch deutlich ausgebaut werden konnte. GRÜNE haben dabei immer auch die besondere Bedeutung der autonomen Frauenbewegung und ihrer Einrichtungen erkannt und sich für den Ausbau der Ressourcen engagiert. Das Ergebnis ist beachtlich: Über 50 autonome Frauenberatungsstellen werden vom Land mittlerweile gefördert, Einrichtungen, die ein breites Beratungsangebot für Frauen mit psychosozialen Problemen abdecken. Darüber hinaus war uns die Förderung von Frauennotrufen und ähnlichen Einrichtungen, die seit nahezu 20 Jahren zu den Themenbereichen Vergewaltigung, Sexuelle Belästigung und Missbrauch arbeiten und ein für die Betroffenen kostenloses Angebot von Beratung über Krisenintervention, Therapie, Prozessbegleitung, Fortbildung bis zur Prävention bieten, besonders wichtig. Gerade der Bereich sexualisierter Gewalt, in dem die potentiellen Täter fast immer zum Nahbereich des Opfers, zum Familien- und Bekanntenkreis gehören, ist stark tabuisiert. Hier ist viel Aufklärungsarbeit, die Ermutigung und Unterstützung der Opfer und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit gefordert und dies wurde und wird insbesondere von den Frauennotrufen geleistet. Auf die Erfahrungen und die Fachkompetenz der in diesen Einrichtungen engagierten Frauen kann auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Uns ist klar, dass gerade auch in diesem Kontext sehr viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde und wird. Neben der kommunalen Förderung wird in 47 Notrufen seit 1997 mit Landesmitteln pauschal eine halbe Stelle gefördert. In vielen Einrichtungen besteht keine weitere feste Personalförderung. Betrachtet man das Ausmaß der Gewalt, von der wir ungeachtet der hohen Dunkelziffer und aus Angst vor weiteren Sanktionen verschwiegenen Demütigungen und Verletzungen, tagtäglich in den Medien erfahren, ist diese Förderung eigentlich noch viel zu gering.

In den letzten Jahren haben diese Einrichtungen zunehmend Vernetzungsarbeit vor Ort und landesweit (Zusammenschluss in einer LAG autonomer Notrufe seit 1996) geleistet, landesweite Aktionen geplant und durchgeführt, sich in den Kommunen und Kreisen an Runden Tischen beteiligt (mit KommunalpolitikerInnen, VertreterInnen der Medizin, Kinder- und Jugendhilfe, Kreis- und Kommunalbehörden, Gleichstellungsstellen, Justiz und Polizei) breit informiert und sensibilisiert sowie fachliche Fortbildung organisiert.

Das sind Erfolge mit Auswirkungen auf Institutionen und Institutionalisierung, die ohne die konsequente Unterstützung durch GRÜNES Partei- und Regierungshandeln nicht gelungen wären. Vor Ort und auf Landesebene haben wir diesen Prozess mitinitiiert und begleitet, Anfragen formuliert und Anhörungen organisiert, Debatten veranstaltet und Publikationen erstellt. Die Landesfrauenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN widmete sich in Dortmund am 25. November 2000, dem Internationalen Aktionstag "Nein zu Gewalt an Frauen!", dem Thema unter dem Titel "Gewaltlos. Mit allen Kräften gegen Gewalt an Mädchen und Frauen" und diskutierte mit Expertinnen und interessierten Frauen über Erfahrungen, Konzepte und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Kampfes gegen sexualisierte Gewalt und Diskriminierung.

Dennoch können wir uns und kann sich die Landesregierung nicht zurücklehnen. Das Aufgabenspektrum im Bereich ‚Gewalt gegen Frauen und Kinder' hat sich eben nicht verringert, sondern durch das neue Gewaltschutzgesetz (seit dem 01.01.2002) und die Erfordernisse im Zusammenhang mit der polizeilichen Wegweisung (Ende 2001 Novellierung des § 34a Polizeigesetz NRW, Wegweisung gewalttätiger Partner aus der Wohnung) immens erhöht. Aus den finanzschwachen Kommunen und Kreisen kamen gehäuft Hilferufe ans Land zur Unterstützung bei diesen Aufgaben. Bei den Haushaltsberatungen auf Landesebene Ende 2001 gelang es uns die geplanten Kürzungen rückgängig zu machen.

Doch nun in 2002 bahnt sich das Ende des Ausbaus der Förderungen für Frauenprojekte und Hilfseinrichtungen an. Von den über vier Millionen EURO Erhöhungen für frauenpolitische Maßnahmen wurden bzw. werden in 2002 bestenfalls 0,9 Millionen EURO verausgabt. GRÜNE Förderideen wurden durch das Frauenministerium nicht umgesetzt.

Und nach den aktuellen Zahlen aus dem Haushaltsentwurf für 2003 droht trotz der Zusagen der Frauenministerin im Vorfeld der Beschlüsse, mit den notwendigen Kürzungen keine Strukturen zu zerschlagen, durch die drastische Mittelkürzung insbesondere den Frauennotrufen die Existenzgrundlage entzogen zu werden. Dabei hatte der Frauenausschuss im Landtag wenige Wochen vor der Sommerpause noch den Antrag "Häuslicher Gewalt entschieden entgegen treten" verabschiedet und darin nicht nur das Frauen- und Opferhilfenetz als auch in Zukunft unverzichtbar bezeichnet, sondern ausdrücklich festgehalten, dass es bedarfsgerecht weiterentwickelt und ausgebaut werden müsse.

Laut Haushaltsplan 2003 ist nun die komplette Streichung der Landesförderung für die Frauennotrufe vorgesehen.

Die Streichung der Personalmittel von einer halben MitarbeiterInnenstelle bei allen 47 Einrichtungen (geplante Einsparung von 944.000 EURO), der Mittel für die 3 Zufluchtsstätten für Mädchen (geplante Einsparung 306.800 EURO) sowie beim Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt (1.000.000 EURO), um nur drei Kürzungsfelder bei den Streichungen im Bereich der frauenpolitischen Maßnahmen zu nennen, hat gravierende Folgen für die Infrastruktur und das Hilfsangebot zum Thema sexualisierter Gewalt. Für die kleineren Hilfseinrichtungen insbesondere in ländlichen Gebieten bedeutet dies faktisch ihre Schließung, andere Institutionen müssen trotz steigender Nachfrage ihr Angebot drastisch reduzieren. Opfer müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen, akute Krisenintervention wird nahezu verunmöglicht, von sexualisierter Gewalt betroffene und traumatisierte Frauen werden allein gelassen, besondere Angebote wie z.B. die Prozessbegleitung und Betreuung in Strafverfahren können kaum mehr geleistet werden.

Der Vorschlag der Frauenministerin Birgit Fischer diese Aufgaben unter Wegfall der entsprechenden Förderung den Frauenberatungsstellen zu übertragen, ist nicht hinnehmbar, da hier bereits eine Vielzahl anderer Tätigkeiten und Beratungsarbeit zu bewältigen ist.

FAZIT:

  • Der Erhalt einer eigenen Fachkraftstelle für die Frauennotrufe, ihrer Erfahrung sowie der Erhalt der gewachsenen Strukturen ist unabdingbar.
  • Werden diese Kürzungen nicht korrigiert, sehen wir die in Jahren aufgebaute Infrastruktur im Bereich 'Gewalt gegen Frauen und Kinder' in ihrer Existenz gefährdet.
  • Der Prozess der Vernetzung und gesellschaftlichen Sensibilisierung sowie die Arbeit der Runden Tische vor Ort würden einen enormen Rückschlag erleiden.
  • Opfer werden allein gelassen, Täter werden geschont.
  • Die Glaubwürdigkeit der Programme und Aktionspläne gegen sexualisierte Gewalt als auch der Reformparteien, SPD und GRÜNE, würden in Frage gestellt.
  • Gewalt ist keine Privatsache! Das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit sehen wir als Pflichtleistung des Staates und seine Realisierung erschöpft sich nicht in Worten, sie erfordert die Bereitstellung von Ressourcen!

In diesem Sinne fordern wir die Abgeordneten der GRÜNEN Landtagsfraktion und die GRÜNEN MinisterInnen im Kabinett auf, intensiv in den anstehenden Haushaltsverhandlungen mit der SPD und dem Frauenministerium darauf hin zu wirken, dass die vorgesehenen Kürzungen im Bereich 'Gewalt gegen Frauen und Kinder' zurückgenommen werden!

Weitere UnterstützerInnen:

Hilke Schwingeler und Markus Kurth, SprecherInnen KV Dortmund;
Birgit Ebel, Sprecherin der LAG Frauenpolitik NRW;
MdB Irmingard Schewe-Gerigk,
Sven Lehmann, Sprecher GRÜNE Jugend NRW, KV Rhein-Sieg;
Katharina Dröge, Landesvorstand GRÜNE Jugend NRW, KV Steinfurt;