Hartz III und IV

Von Markus Kurth

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 7/2003, 10. November 2003

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Hartz-Gesetze III und IV sind verabschiedet. Ich habe mit meiner Stimme für diese Gesetze gestimmt und ich will auch die Verantwortung dafür übernehmen. Ich bin mir bewusst, dass diese Reformen alles andere als ein Fortschritt sind. Wenn ich dennoch zugestimmt habe, so in der festen Überzeugung, mit meiner Teilnahme an den Verhandlungen und den Interventionen im Vorfeld wichtige Korrekturen durchgesetzt zu haben. Für die Durchsetzung einer vollständig anderen Politik fehlen gegenwärtig die politischen und gesellschaftlichen Mehrheiten und die Frage, wann man das Feld im Parlament anderen Kräften überlässt, um von außen frontal die politische Offensive des Neoliberalismus anzugreifen, habe ich für mich im Moment so entschieden: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt existieren innerhalb dieser Regierung noch zu viele Möglichkeiten, um weitaus schlimmere Schritte zu verhindern und "trotz allem auch originäre Grüne Ziele durchzusetzen". Der erfolgreich verhandelte Kündigungsschutz für Schwerbehinderte oder das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen in der Sozialhilfereform mögen als kleine, aber wichtige Beispiele herhalten, um verständlich zu machen, warum ich von innen versuche, das Möglichste herauszuholen. Außerdem besteht auch die Möglichkeit, innerhalb der eigenen Fraktion Überzeugungsarbeit zu leisten, um als Gesamtfraktion auch mit den Anliegen der Minderheiten gegenüber der SPD und der CDU handlungsfähig zu bleiben.

Und letzten Endes glaube ich immer noch daran, dass es in unserer Partei auch die Chance für andere Mehrheiten gibt. Aber in der Fraktion sind die Mehrheiten bis zur nächsten Wahl klar (auch wenn die wirtschaftsliberale Linie bröckelt). Außerdem: Im AK 1, der die Sozialreformen macht, bin ich völlig auf mich allein gestellt. Als einziger Linker in diesem Gremium sehe ich mich auch in der Verantwortung, Verbindungen zu halten, die sonst nicht bestünden. Ich kann Euch versichern, dass ich in Berlin wirklich alles - bis zur physischen Erschöpfung - dafür getan habe, die schlimmsten der geplanten Einschnitte und Kürzungen abzuwenden. Die wenigsten dieser erst intern vorgebrachten Vorhaben dringen überhaupt an die Öffentlichkeit. Die sozialpolitischen Vorstellungen der Ministerien, aber auch etlicher SPD-Abgeordneter sind geradezu erschreckend. Und die Gleichzeitigkeit der Vorhaben führt zur strukturellen Überforderung und Überlastung. Deswegen kann ich auch seltener die harten Nummern aus Berlin kommunizieren als mir lieb ist.

"Grundsätzliche Differenzen mit der SPD: Frauen- und AusländerInnenpolitik"

Grundlegende Differenzen mit der SPD-Fraktion bestehen in frauenpolitischen Fragen und in Fragen der AusländerInnenpolitik. Hier liegt ein grundsätzliches Problem, welches die Verhandlungen der Gesetzesvorlagen durchgehend gelähmt hat. Die verschärfte Anrechnung des PartnerInneneinkommens, das für viele Frauen im Arbeitslosengeld II dazu führt, dass sie ihren eigenen Leistungsanspruch verlieren, war mit der SPD einfach nicht nachverhandelbar. Vereinbaren konnten wir aber eine verstärkte Förderung von Frauen. Sie erhalten Zugang zu aktiven Maßnahmen und werden bis zu einem Jahr ALG II - BezieherInnen beim Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen gleichgestellt. Auch für BerufsrückkererInnen konnte der Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen sicher gestellt werden. Außerdem wird die Frauenförderung in die Zielvereinbarungen zwischen der Bundesagentur für Arbeit und der Bundesregierung aufgenommen werden.

Prinzipielle Differenzen gab es auch bei der AusländerInnenpolitik. Hier verweigert die SPD fast alle Punkte. Immerhin: AusländerInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang haben jetzt den Zugang zum ALG II. Und in der Sozialhilfe ist es gelungen, alle Verschlechterungen für Ausländer abzuwenden!

"Gute Kompromisse und Erfolge"

Bei der "Zumutbarkeitsfrage" ist es zu einem Kompromiss gekommen. Unser in Cottbus gefasstes Ziel, die Mindestlohnfunktion der Sozialhilfe zu erhalten, konnten wir nahezu unumschränkt durchsetzen. Auch Minijobs dürfen nur dann zumutbar sein, wenn sie zum ortsüblichen Tarif bezahlt werden. Auf diese Weise kann man ein Lohndumping verhindern. Einen klaren Erfolg haben wir bei der "Unterhaltspflicht im ALG II" errungen. Erwachsene Verwandte ersten Grades dürfen nicht - wie bei der Sozialhilfe - zum Unterhalt heran gezogen werden. Das kommt allen arbeitsfähigen SozialhilfeempfängerInnen, die jetzt in das ALG II wechseln, zugute.

Durch einen neuen "Freibetrag für die private Altersvorsorge" werden außerdem sämtliche Formen der Altersvorsorge zusätzlich mit bis zu 200 Euro pro Lebensjahr geschützt, die zum Renteneintritt ausgezahlt werden. Das ist ein Erfolg, auch wenn unser Ziel, alle Vorsorgeformen vollständig vor Anrechnung zu schützen, nicht erreicht wurde.

Ein großer Erfolg war auch, die "Streichung der Verordnungsermächtigung zur Erwerbsfähigkeit" für den Wirtschaftsminister aus dem Gesetzentwurf zu Hartz IV. Es gilt fortan die rentenrechtliche Definition: nur wer weniger als drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes arbeiten kann, wird zukünftig durch die Sozialämter und nicht durch die Job-Center betreut. Damit erhalten die arbeitsfähigen SozialhilfeempfängerInnen nunmehr Zugang zur aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das ist sicherlich die größte Verbesserung, die die Hartz-Gesetze gegenüber dem status quo bringen. Angesichts der real angedrohten sozialen Selektion zwischen "arbeitsmarktnahen" und "arbeitsmarktfernen" Gruppen, sollte dieser Erfolg überaus hoch veranschlagt werden.

Ein weiterer Punkt, der mir besonders am Herzen lag, ist die Sicherung der kommunalen Beschäftigungsförderung". Inzwischen mussten auch Clement und Gerster einsehen, dass eine Reform der Beschäftigungsinfrastruktur ohne den Einbezug der Kommunen und ihrer Kompetenzen schlicht nicht möglich ist. Wir haben erreicht, dass ABM nicht nach VOL ausgeschrieben werden müssen, sondern auch vergeben werden können. Wären zwischen den Job-Centern und Maßnahmeträgern öffentliche Ausschreibungen vorgeschrieben worden, hätte dies gewerbliche Träger bevorzugt und gemeinnützige Träger und Wohlfahrtsverbände deutlich benachteiligt.

"Keine Nischenbaustelle: Menschen mit Behinderungen"

Die längst fällige Einordnung der Sozialhilfe in das Sozialgesetzbuch (SGB XII) dient einer Vereinheitlichung der Sozialgesetze. Gleichzeitig haben wir klargestellt, dass die Sozialhilfe als unterstes Netz der sozialen Sicherung aufrechterhalten wird. Für Menschen mit Behinderungen ist das "persönliche Budget" die innovativste und weitreichendste Neuerung der Sozialhilfereform. Es soll den Betroffenen ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben ermöglichen, dabei sollen sie selbst über ein bestimmtes Budget verfügen und sich nötige Assistenzleistungen einkaufen. Damit wird erstmalig ein neues Instrument zur Stärkung des Grundsatzes "ambulant vor stationär" in das Sozialhilferecht eingeführt. Aus Grüner Sicht ist dieses Vorhaben unbedingt zu begrüßen.

Eine weitere Verbesserung für Menschen mit Behinderung bringt der kontrovers diskutierte "WG-Paragraph" 37 des SGB XII. Erwachsene behinderte Kinder, die bei ihren Eltern wohnen, erhalten einen eigenen Sozialhilfeanspruch und die Eltern müssen nicht mehr für diese aufkommen. Damit soll verhindert werden, dass Eltern wegen der Unterhaltsverpflichtung ihre behinderten Kinder in stationäre Einrichtungen unterbringen müssen. Auch Mütter mit Kindern unter sechs Jahren, die bei ihren Eltern wohnen, haben jetzt im Gegensatz zum geltenden Recht einen eigenen Anspruch. Ich war zusätzlich zu den Hartz-Verhandlungen alleiniger Verhandler in der Sozialhilfereform und bin froh, hier einiges erreicht haben zu können.

"Schlechte Kompromisse und Niederlagen"

Es gab noch weitere üble Dinge. Einer der gravierendsten Problempunkte von Hartz IV ist die verschärfte Sanktion für Jugendliche und Junge Erwachsene bis 25 Jahren. Hier konnten wir uns nicht durchsetzen. Im Gesetzentwurf war vorgesehen, dass die Leistungen von Jugendlichen, die sich den Vermittlungsbemühungen entziehen, komplett gestrichen werden und ihnen nur noch Geld für Unterkunft und Heizung zusteht. Wir Grünen haben ins Gesetz hineinverhandelt, dass sie wenigstens Sachleistungen bekommen. Ich werde Klagen, die sich gegen den Leistungsentzug richten, öffentlich unterstützen - in der Hoffnung, dass das Verfassungsgericht diesen Passus im SGB II kippt. Auch bei den Verhandlungen des neuen ALG II konnten wir unsere Ziele nicht vollständig realisieren. Das Arbeitslosengeld II wird nun in derselben Höhe wie die Sozialhilfe gezahlt. Eine Erhöhung der Regelsätze war nicht möglich. Aber ein Erfolg war auf jeden Fall: Die Einmaligen Bedarfe, z.B. für die Übernahme von Mietschulden und die Einzelfallorientierung bei Mehrbedarfen, z.B. für Schwangere und schwer Kranke wurden ins Arbeitslosengeld II übernommen. Hier hat sich der Einsatz - das "Drinbleiben in den Verhandlungsrunden" - gelohnt.

Bei der Bemessung der für Haushaltsangehörige (Kinder) maßgebenden Regelsätze werden die bisher vorhandenen vier Altersstufen auf zwei Altersgruppen vermindert: Im Ergebnis führt diese Neujustierung der Regelsätze für Haushaltsangehörige zur Verbesserung bei Familien mit Kindern unter 7 Jahren, jedoch zu Verschlechterungen bei Familien mit Kindern zwischen 7 und 18 Jahren. In den Beratungen der zuständigen Koalitionsgruppe habe ich mich vehement für die Beibehaltung des vierstufigen Altersklassensystems ausgesprochen. Nachdem ich zunächst bei meinen SPD-Kollegen in der Koalitionsrunde und beim Staatssekretär Thönnes gescheitert bin, schien sich hier die Überzeugungsarbeit innerhalb der Fraktion gelohnt zu haben: Ich habe von Katrin Göring-Eckhardt große Unterstützung für meine Position erhalten und die Streitfrage zur Entscheidung von der Arbeits- auf die Spitzenebene verschoben. Ulla Schmidt hatte dann sehr zum Ärger ihres Staatssekretärs die Beibehaltung der alten Geldbeträge zugesagt. Ich hatte mich schon gefreut. Aber der Kanzler und Clement legten in der abschließenden Koalitionsrunde ihr Veto dagegen ein und auch Ulla Schmidt mochte daraufhin nichts mehr von ihrer Zusage wissen. Im Gegenzug haben wir uns mit der SPD wenigstens darauf geeinigt, dass nun alle Alleinerziehenden einen zusätzlichen Mehrbedarfszuschlag von 12 % erhalten.

Ihr mögt selbst bewerten, ob die Zustimmung zu Hartz "zuviel" gekostet hat oder ob die unbestreitbaren Verhandlungserfolge groß genug waren. Mit meiner Stimme habe ich die Bewertung aus meiner Sicht vorerst getroffen. Ich werde weiterhin die Diskussionen führen und mich auch mit Kritik auseinandersetzen - demnächst auf unserer Mitgliederversammlung am 19. November in Dortmund. Ich will nur, dass dies auch fair geschieht. Über die richtige Taktik kann man sicherlich reden und streiten. Meinen Überzeugungen bleibe ich treu.

Mit GRÜNEN Grüßen

Markus Kurth