Erst PISA, jetzt IGLU und was nun?!

Von Hilke Schwingeler

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 2/2003, 15. Mai 2003

Von der Wärme Italiens in die arktische Kälte, von fünfzehnjährigen SchülerInnen aller Schulformen zu den GrundschülerInnen, die vier Jahre lang gemeinsam lernen, um dann sortiert zu werden in die Schubladen eines dreigliedrigen Schulsystems, bei dem die Gesamtschule maximal schminkende, eher aber die Probleme verschärfende Funktion hat, in dem sie das gnadenlose und völlig unpädagogische Selektieren unfreiwillig versucht aufzufangen.

PISA war einfach schrecklich, IGLU zeigt zumindest einen Silberstreif am Horizont, der Signale setzt für einen Aufbruch in eine aus GRÜNER Sicht schon immer als dringend notwendige Reform des Schulsystems: Die Forderung nach einer Schule für alle Kinder und Jugendlichen bis Klasse 10.

Wie immer man eine solche Schule nennen will - bloß nicht Gesamtschule! Mit dieser Bezeichnung für eine Schulform, die nie eine Gesamtschule war, weil sie immer neben der Dreigliedrigkeit bestand, sind zu viele Vorurteile verbunden, die z.T. auch berechtigt sind. Die ursprüngliche Gesamtschulidee hatte nie eine echte Chance. Bei der Verliebtheit eines großen Teils der Eltern in das, was heute Gymnasium heißt: Warum nennen wir nicht einfach unsere Schule für alle Kinder "Gymnasium", und zwar von Klasse 1 bis 10. Wenn Schule eine "Pflegestätte für geistige Bildung" sein soll, was ein Gymnasium im ursprünglichen Sinne war und auch heute sein sollte, dann wäre der Name schon einmal nicht mehr das Problem. (Dieses ist eine beabsichtigte Provokation!)

Nach PISA aber wurde aktionistisch gerödelt, ohne dass das Gesamtproblem angefasst wurde: Die Schwierigkeiten der Sekundarstufe I wurden ganz schnell und einfach und ohne Gesamtkonzept in ihren Ursachen in die Grundschule verlagert. Und hier wird verändert, ein neues Lehramt soll Abhilfe schaffen, ein Lehramt gemeinsam für Grund-, Haupt- und Realschule, bei dem ganz nebenbei davon auszugehen ist, dass das grundschulspezifische Profil aufgegeben wird.

Und dann kam IGLU und es stellte sich heraus, dass es wesentlich eher angesagt ist, endlich das zu tun, was der Name "weiterführende Schulen" für die Schulen der Sekundarstufe I im wörtlichen Sinne bedeutet: Die Arbeitsweisen, Ansätze, Methoden der Grundschule weiterzuführen im Interesse eines sinnhaften, effektiven und zeitgemäßen und damit zukunftsorientierten Lernens.

Nach IGLU den Schluss zu ziehen, in der Grundschule könne man sich auf Lorbeeren ausruhen, wäre fatal und an den Ergebnissen von IGLU vorbei. Aber durch die geplanten Maßnahmen in der LehrerInnenausbildung, "das einzige zu zerschlagen, was in unserem Schulsystem noch einigermaßen funktioniert" (Klaus Klemm), das wäre fatal, aber es ist wahrscheinlich nicht mehr zu ändern.

Da weist die Erklärung der LandtagsGRÜNEN durch Sylvia Löhrmann, die gemeinsamen Unterricht bis Klasse 10 als Perspektive fordert, genau in die richtige Richtung. Die Zeit ist reif, endlich die Strukturdebatte neu anzufangen. Das Zwei-Säulen-Modell, das als Kompromiß auch von GRÜNER Seite gefordert wurde und seinen Niederschlag fand in einem LehrerInnenausbildungsgesetz, in dem zwei Lehrämter installiert werden, eines (s.o.) von Klasse 1-10, ein zweites für das Gymnasium und gnädigerweise auch für die entsprechenden Klassen der Gesamtschule (Man darf raten, welche LehrerInnen länger ausgebildet werden und in der Folge auch besser bezahlt werden!) - solche Lehrämter zementieren nicht nur die Trennung von Gymnasium und dem "Rest der Welt", sondern begründen ungeniert auch eine Zwei-Klassen-(Bildungs)gesellschaft, die wir eigentlich überwinden wollen und müssen. Das Zwei-Säulen-Modell war aus meiner Sicht immer ein Schritt in die falsche Richtung, die neuen landespolitischen Erklärungen lassen da endlich hoffen...

Was ist denn nun modellhaft an der Grundschule? An erster Stelle ist die Grundschule eine Schule für alle Kinder. Heterogenität wird nicht nur bewältigt, sondern die damit verbundenen Chancen werden genutzt und umgesetzt. An zweiter Stelle sind es die Methoden, die die Grundschule von den weiterführenden Schulen unterscheiden. Lernen in nachvollziehbaren Zusammenhängen, ausgerichtet an eigenen Fragen und unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit der SchülerInnen - wer den Sinn seines Handelns einsieht, lernt gerne und erfolgreich. Dass die Arbeit in der Grundschule beispielhaft auch für die weiterführenden Schulen ist, zeigen die frisch ausgebildeten PrimarstufenlehrerInnen, die nach ihrer Ausbildung in die Hauptschule gehen: Sie kommen in der Regel hervorragend zurecht - was umgekehrt weniger wahrscheinlich ist.

Wir alle wissen um die knappen finanziellen Ressourcen des Landes, wir wissen auch, dass auf die Schulen in den nächsten Jahren auch bezüglich der Stellenbesetzungen erhebliche Probleme zukommen. Qualität der Arbeit in allen Schulen ist aber nur zu entwickeln und zu sichern, wenn wir in allen Bereichen des Systems flexibel und kreativ mit dem Rahmenbedingungen umgehen und nicht alles zum Nulltarif geschehen muss.

Selbst die blühendste Fantasie kann die Probleme nicht auffangen, die in einem 1. Schuljahr mit um die 30 SchülerInnen entstehen: Jedes dieser Kinder hat eine eigene Lernbiografie, eigene Stärken und Schwächen, kommt aus einem sozialen Umfeld und hat andere soziale Verhaltensweisen, hat ein Zuhause, in dem von Bildungsoffenheit bis zur Bildungsverweigerung alles gelebt wird und was entsprechende Auswirkungen hat, jedes dieser Kinder nimmt Schule, Aufgaben, Anregungen anders an. Jedes dieser Kinder lässt sich anders ein auf Angebote, kann sich mehr oder weniger konzentrieren ...

Und vor einem solchen "Haufen" steht eine LehrerIn und versucht, diese Lerngruppe zu einem sozialen Gefüge zusammenzuführen, in dem zusammen gelernt werden kann. Diagnosekompetenz wird so richtig gefordert, individuelle Förderung auf der Basis einer solchen - bitte dann endlich auch mit den entsprechenden Ressourcen. Das müssen nicht immer LehrerInnen sein!

Also: Aus der Grundschule lernen, sie ausbauen und weiterentwickeln und endlich alle SchülerInnen zusammen lernen lassen - am besten bis Klasse 10.

Ich habe oben von Fantasie und Kreativität gesprochen, die wir brauchen, um "Schule endlich anders zu denken" (H. v. Hentig) und auch um die Debatte darum in den GRÜNEN voranzutreiben. Die Chancen stehen gut für Veränderungen in unserem Sinne. Nutzen wir sie und formulieren wir unsere Entwicklungsvorschläge.

Wenn Ihr Interesse an einer Arbeitsgruppe zu dem Thema "Bildung" habt, möchte ich Euch bitten, Euer Interesse bei Martina im KV anzumelden. Wir werden dann zusammen einen Termin "ausgucken", den wir zur grundlegenden Diskussion und zur Weiterplanung nutzen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn eine solche Arbeitsgruppe endlich zustande kommen würde, zumal gerade das Thema Bildung in den nächsten Wahlen kommunal und landespolitisch eine herausragende Rolle spielen wird.