Erinnern ... Bedenken ... Handeln

Aufruf des Initiativkreis Wehrmachtsausstellung zur Demonstration am 20. September 2003, 3. September 2003

Dortmund stellt sich der geschichtlichen Verantwortung und bleibt eine weltoffene Stadt - gegen Aufmärsche der Rechtsextremisten in Dortmund im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung.

Die Wehrmachtsausstellung berührt einen furchtbaren Teil deutscher Geschichte. Schmerzhaft wird bewusst, was Ralf Giordano die "Zweite Schuld" genannt hat: Auch nach Ende des Krieges und der Befreiung vom Nationalsozialismus blieben die Aufarbeitung der Verbrechen und die Übernahme der Verantwortung unzureichend. Dies zeigt sich in erschreckender Weise auch daran, dass es 50 Jahre dauerte, bis eine Dokumentation über die "Verbrechen der Wehrmacht" möglich war.

Die erste Fassung der Ausstellung hat berechtigte Kritik hervorgerufen, zugleich ist sie aber in ihrer Grundaussage bestätigt worden: Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion, und um diesen geht es in erster Linie in der Ausstellung, hatte eine Dimension, die in dieser Art in der Neuzeit unbekannt war. Die dort von Angehörigen der deutschen Streitkräfte begangenen Kriegsverbrechen waren nicht Ergebnis einer Eskalation, sondern von Seiten der politischen und militärischen Führung von vorne herein geplant. Von Anfang an war dieser Krieg nicht als Krieg einer Armee gegen die anderen, sondern als Krieg gegen eine Bevölkerung geplant, von der die eine Hälfe, die sowjetischen Juden, vernichtet und die andere Hälfte versklavt werden sollte. An viele dieser Taten, die das damalige Kriegs- und Völkerrecht mit Füßen traten, waren Angehörige der Wehrmacht aktiv und passiv beteiligt.

Es ist nicht Ziel dieser Ausstellung, jedem Wehrmachtssoldaten die Mitwirkung an Verbrechen vorzuwerfen. Die schwierige Quellenlage lässt keine endgültigen Aussagen über die Anzahl der an den Verbrechen beteiligten deutschen Soldaten und Offiziere zu. Die Ausstellung dokumentiert aber zugleich in beeindruckender Weise die konkreten Handlungsspielräume von Wehrmachtsangehörigen. Befehlssituationen öffneten Handlungsmöglichkeiten, die nach verschiedenen Seiten genutzt werden konnten. Es ist notwendig, diese Ausstellung zu zeigen, auch wenn sie auf die ein oder andere Weise schmerzt. Es dient der Erinnerungsarbeit und auch der politischen Kultur der Gegenwart, sich mit ihren Dokumenten auseinander zu setzen. Zugleich sensibilisiert die Ausstellung für die heutige Verantwortung, für den Umgang mit den Menschenrechten, den Einsatz für den Frieden und die Frage nach Zivilcourage und konkretem Handeln jedes Einzelnen. Insofern enthält die Ausstellung wichtige Impulse für gegenwärtiges Handeln.

Es trifft darum auf unseren entschiedenen Widerspruch, dass neonazistische Gruppen und nationalistische Kreise, auch einzelne ehemalige Kriegsteilnehmer, die Ausstellung zum Anlass nehmen, die Geschichte zu verdrehen oder sie zu leugnen und in diesem Zusammenhang rechtsradikale Parolen zu vertreten.

Wir bitten alle Bürgerinnen und Bürger, die sich verantwortungsbewusst mit unserer Geschichte auseinandersetzen und für eine demokratische und friedliche Zivilgesellschaft eintreten, mit uns gemeinsam der Überzeugung der überwältigenden Mehrheit Ausdruck zu verleihen. Der Initiativkreis wird für den 20. September 2003 eine Demonstration organisieren, falls an diesem Tag rechtsextreme Gruppen einen Aufmarsch gegen die Ausstellung durchführen.

Wir fordern alle auf mitzumachen: durch den Besuch der Ausstellung, durch Teilnahme an den Veranstaltungen des Begleitprogramms und durch Mitwirkung an der angekündigten Demonstration gegen rechtsextreme Aufmärsche.

Wir bitten die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung der Stadt Dortmund, die Aktivitäten des Initiativkreises zu unterstützen und sich mit uns gemeinsam zu engagieren.

Wir fordern darum die Verantwortlichen der Dortmunder Polizei auf, jeden Aufmarsch der Rechtsextremisten, soweit es die geltenden Gesetze zulassen, zu begrenzen und wenn möglich zu verhindern. Wir bitten Sie zugleich, keine unbedachten Maßnahmen wie in den Vorjahren durchzuführen, sondern den gewaltfreien Protest der Bevölkerung angemessen zu unterstützen.

Wir fordern die Verwaltungsgerichte auf, bei ihren Entscheidungen die besondere Situation angesichts der Millionen von Opfern ausreichend zu berücksichtigen.

Dortmund stellt sich der geschichtlichen Verantwortung und bleibt eine weltoffene Stadt.

Die Organisationen des Initiativkreises:
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kreisverband Dortmund
Deutscher Gewerkschaftsbund - Östliches Ruhrgebiet
Internationales Bildungs- und Begegnungswerk e. V. (IBB)
Jugendring Dortmund - Arbeitsgemeinschaft
Dortmunder Jugendverbände
Katholisches Stadtgremium Dortmund
Koordinationskreis Wissenschaft an der Universität Dortmund
Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Unterbezirk Dortmund
Evangelische Kirche Dortmund/Lünen (VKK)
Förderverein des Westfalen-Kollegs Dortmund


Geleitwort für Rechtsradikale

Im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte ist vom 19. September bis zum 2. November 2003 die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" zu sehen.

Wie in anderen Städten auch haben Sie für den ersten Samstag der Ausstellungszeit einen Aufmarsch angekündigt, um gegen die Ausstellung zu agitieren. Nicht Erinnern, nicht Aneignen unserer geschichtlichen Wahrheit ist die Devise, sondern wütendes Verweigern jeder historischen Auseinandersetzung.

Dortmund hat Erfahrung im Umgang mit Rechtsextremen. Demokraten, Lehrende und Lernende, Arbeitende und Arbeitslose, Atheisten und religiöse Menschen, junge und alte Dortmunder werden Ihrem Aufmarsch mit einer Demonstration entgegentreten.

Sie werden die Ausstellung schützen. Der Auseinandersetzung mit dem Geschehenen und dem Geschehenden ihren Raum in Dortmund bewahren, damit wir über Krieg und Verbrechen nachdenken, sprechen, zweifeln, weinen können.

Aus dem Hineinsehen in die Vergangenheit nach vorn blicken.

Mit dem obigen Aufruf möchte der Initiativkreis Wehrmachtsausstellung in Dortmund die Bewohner Dortmunds und der Region einladen, durch einen großen und friedlichen Demonstrationszug und durch die Teilnahme an der Kundgebung zu dokumentieren, dass diese Ausstellung in Dortmund ihren Platz hat.

Wer vor der Ausstellung die Augen verschließen will, mag das tun, er beraubt sich seines Urteilsvermögens. Wer gegen sie Sturm läuft, rennt gegen eine Stadt an, die diese Ausstellung beschlossen hat, gegen eine Region, die in weit über 100 Veranstaltungen mehr über Verbrechen und Krieg erfahren will, um für den Frieden handeln zu können.

Claus Commer


Dortmund ist eine offene Stadt.
Für historisches Denken.
Gegen hysterische Marschierer.

KZ-Gelände Trostenez

Deutsche auf KZ-Gelände Trostenez bei Minsk:
Aus der Geschichte lernen

Dem Hass entgegentreten.
Samstag, 20. September 2003

Beginn der Demonstration um 11:00 Uhr auf der Katharinenstraße oberhalb der Freitreppe vor dem Hauptbahnhof. Der Demonstrationszug geht über die Kampstraße, Hoher Wall und Hiltropwall und wird mit einer Kundgebung am Platz der alten Synagoge abgeschlossen.

Beim Auftakt oder Abschluss sprechen

Dr. Gerhard Langemeyer (Oberbürgermeister der Stadt Dortmund)
Superintendent Hartmut Anders-Hoepgen (Evangelische Kirche)
Dechant Reinhard Bürger (Katholische Kirche)
Prorektor Prof. Dr. Thomas Hermann (Universität Dortmund)
Günther Wegmann (Vorsitzender SPD Dortmund)
Matthias Dudde (Kreisvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mark Rudolff (Sprecher Bündnis Dortmund gegen Rechts)
NN (Jugendring Dortmund)
Friedrich Stiller (Initiativkreis Wehrmachtsausstellung)

Moderation: Eberhard Weber (Vorsitzender DGB Östliches Ruhrgebiet)

Klangvolle Beiträge: Atemgold 09, Fred Ape