Hartz IV

Gemeinsamer Brief der Kreisverbände Münster und Dortmund an die Bundestagsabgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 28. August 2003

Liebe Freundinnen und Freunde,

die nächste Runde der Umsetzung des Hartz-Konzeptes steht unmittelbar bevor, und wieder sind erhebliche Einschnitte geplant. In Cottbus haben wir uns intensiv mit den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen auseinander gesetzt und auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser enthielt bereits weitgehende Zugeständnisse an den Koalitionspartner und die Logik des Koalitionserhalts. Dennoch sind die jetzt im Entwurf vorliegenden Gesetzvorhaben Hartz III und IV weit entfernt von unserem Parteitagsbeschluss. Im Effekt der Neuregelungen des ALG II und des Sozialgeldes soll es nach dem Gesetzesentwurf zu deutlichen Verschlechterungen gegenüber den jetzigen Leistungen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe kommen.

  • Der § 10 des Entwurfs für das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erweitert noch einmal die Zumutbarkeitsregelungen ins prinzipiell Schrankenlose. Damit würden künftig auch Mini-Jobs dauerhaft zumutbar sein. Der Cottbuser Parteitagsbeschluss forderte dagegen explizit die Herausnahme von Mini-Jobs aus der Zumutbarkeit.
  • Die Festsetzung des ALG II nach den jetzigen Regelungen der Sozialhilfe bedeutet massive Leistungskürzungen, untergräbt die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen und wird viele hunderttausend Kinder in die Armut abdrängen. Dagegen haben wir uns in Cottbus klar und deutlich verwahrt.
  • Der § 31 des Gesetzentwurfes enthält weitere Verschärfungen der Sanktionsmöglichkeiten:
    • Bei Leistungskürzungen um mehr als 30% sind zur Bedarfsdeckung zusätzliche Sachleistungen "insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen" vorgesehen. Dies stellt eine Form der Entwürdigung und Schikane von HilfeempfängerInnen dar, die die GRÜNEN im Kontext des Asylbewerberleistungsgesetzes deutlich kritisiert haben.
    • Hilfebedürftigen zwischen 15 und 25 Jahren sollen bei Nichtkooperation sämtliche Leistungen gestrichen werden. Ein solcher Automatismus der völligen Leistungseinstellung ist weder mit dem BSHG noch mit dem Grundgesetz vereinbar.
    • Es ist keine Schiedsstelle in Konfliktfällen vorgesehen.
  • Der § 8 Abs. 3 verweigert AusländerInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang den Anspruch auf das ALG II und errichtet damit erhebliche Integrationsbarrieren.

Ein Gesetzesentwurf darf sicherlich nicht an herausgegriffenen Einzelmaßnahmen beurteilt werden, sondern nur im Gesamtzusammenhang. Das gilt umso mehr für ein Konzept aktivierender Sozialpolitik, das sich auf die schwierige Balance von "Fördern und Fordern" einlassen will. Die genannten Punkte verdeutlichen, dass mit den Entwürfen zu Hartz III und IV diese Balance zugunsten von "Fordern und Sanktionieren" verlassen wurde. Nun werden Instrumente wie Mini-Jobs, Fallmanagement und Hilfe zur Arbeit in den Dienst eines Arbeitszwanges gestellt, der durch harte Sanktionen flankiert wird.

Die Menschen, mit denen wir an der Basis tagtäglich zu tun haben, verstehen nicht, wie Arbeitsplätze entstehen sollen, wenn Arbeitssuchende unter finanziellen Druck gestellt werden. Sie verstehen die Politik der jetzigen Bundesregierung als das, was sie leider unter dem Strich auch tatsächlich ist: eine Politik der sozialen Spreizung, die die Distanz zwischen Arm und Reich vergrößert. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird dies dokumentieren, wenn nicht endlich Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit aktiv bekämpft werden.

In diesem Sinne bitten wir Euch nachdrücklich, die Beschlüsse des Cottbusser Parteitages bei der Beratung und Abstimmung von Hartz III und IV zu berücksichtigen und den oben genannten Punkten Eure Zustimmung zu verweigern. Wenn die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung "grünstichig" sein soll - ein ohnehin bescheidenes Ziel für eine Regierungspartei - so darf dem Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form nicht zugestimmt werden.

Mit GRÜNEN Grüßen

Hilke Schwingeler, Sprecherin KV Dortmund
Bianca Samberg, Sprecherin KV Münster
Matthias Dudde, Sprecher KV Dortmund
Wilhelm Achelpöhler, Sprecher KV Münster