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Wenn muslimische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen -
nur ein kleines Stückchen Stoff oder doch noch etwas mehr ...

Ein Versuch, einige Positionen dazu aufzuzeigen auf dem Wege zu einem politischen Umgang mit einer schwierigen Frage

Von Hilke Schwingeler

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 1/2004, 15. Januar 2004

  • "Ich wünsche mir, dass das Kopftuch verboten wird, sonst zwingt mich meine Familie, ein Kopftuch zu tragen." (ein junge muslimische Lehrerin)
  • "Wenn Lehrerinnen Kopftücher im Unterricht tragen, wie sollen dann muslimische Schülerinnen gegenüber ihren Eltern begründen, warum sie kein Kopftuch tragen?" (Lehrerin an einer Gesamtschule)
  • "Die Frauen, die Kopftücher tragen, wollen nicht nur ihren Glauben zeigen, sondern auch, dass sie sich von den Ungläubigen abgrenzen." (muslimische Studentin, die ausdrücklich kein Kopftuch tragen will)

Junge Lehrer/-innen diskutieren die Frage, ob sie es befürworten oder ablehnen, wenn muslimische Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen. Eine Gruppe sammelt Argumente dafür, die andere dagegen. Die Diskussion verläuft recht hitzig. Die Gegner/-innen zählen diverse Punkte auf, die Befürworter/-innen entgegnen immer wieder, dass ein Verbot des Kopftuchs im Unterricht gegen Religionsfreiheit usw. verstoße, dass wir gerade aufgrund unserer Geschichte ein solches Verbot nicht aussprechen dürften. Achtung vor Andersdenkenden, Toleranz und Weltoffenheit - unser Grundgesetz beinhalte Rechte, auf die sich alle bei uns Lebenden berufen können müssten... Die andere Gruppe zeigt sich zunehmend hilflos. Auch wenn beide Gruppen die Einzelargumente dagegen durchaus teilen - übergeordnete Werte lassen maximal nur zu, dass im Einzelfall ein Verbot ausgesprochen werden könnte...

Der Streit um das Kopftuch - ein Gutes hat er: Es geht an dieser Stelle auch um eine Frage, die in unserer Gesellschaft dringend sauber diskutiert werden müsste: Gibt es in einer Gesellschaft, die weltoffen, tolerant und multikulturell sein will und sich der Achtung gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden verschreibt, keinerlei Grenzen der Toleranz? Ist eine solche Gesellschaft verpflichtet, im täglichen Miteinander grundsätzlich alles zu tolerieren, was Menschen für sich selbst für unbedingt wichtig halten? Und wenn wir meinen, dass wir diese grundsätzliche Toleranz im Alltag leben sollten, müssen wir dieses auch dort, wo es in den öffentlichen Schulen um einen vom Grundgesetz definierten Bildungsauftrag geht? Wobei die Frage gestellt werden muss, ob die von Grundgesetz geforderte Toleranz gerade in der Schule Toleranz auch gegenüber einer Intoleranz gebietet, die gegenüber denjenigen, die diese Toleranz gewähren, bis hin zur militanten Abgrenzung diese Toleranz nicht einmal ansatzweise erkennen lassen.

Es geht um Frauen, die als Lehrerinnen Kopftücher tragen wollen oder müssen. Die Botschaft, die von einer Kopftuch tragenden Frau ausgeht, ist auf der einen Seite das absolute Bekenntnis zum Islam, auf der anderen Seite aber auch eine Abgrenzung gegenüber den Frauen, die im Islam oder außerhalb ein solches Kopftuch nicht tragen. Es geht auf keinen Fall um das Tragen des Kopftuches in der Öffentlichkeit, sondern in staatlichen Schulen, die einen vom Grundgesetz definierten Bildungsauftrag haben.

Und weil dieser Bildungsauftrag Lehrerinnen und Lehrer letztlich zur politischen und religiösen Neutralität verpflichtet in dem Sinne, dass Schüler/-innen nicht durch die Meinung ihrer Lehrer/-innen in ihren Einstellungen manipuliert werden dürfen, sondern sich in Abwägung diverser Positionen eine eigene Meinung, eine eigene Einstellung zu den Dingen dieser Welt erwerben sollen, sind Lehrer/-innen aufgefordert, es ihren Schüler/-innen durch Nachdenken und Skepsis zu ermöglichen, sich diese zu erarbeiten. Das heißt nicht, dass Lehrer/-innen ihre eigenen Positionen grundsätzlich verschweigen müssen, aber im Sinne des Bildungsauftrags darf diese Position kein Dogma sein, sondern auch Lehrer/-innen müssen so offen sein, dass sie sich an dieser Stelle zur Disposition stellen können.

Je älter Schüler/-innen sind, um so besser können sie mit Lehrer/-innen umgehen, die aus ihren Einstellungen keinen Hehl machen, wo es vielleicht auch zu deren Authentizität gehört, dass sie ihre eigene Position vertreten.

Aber Kinder in der Grundschule z.B. lieben ihre Lehrerinnen. Und auch wenn eine Einzelfallprüfung ergeben hat - wie auch immer das gehen soll, dass eine Lehrerin das Kopftuch ohne Druck z.B. ihrer Familie trägt, dass sie ‚nur' ihre Religion lebt, welche Antworten wird sie mit welchen Auswirkungen Schüler/-innen geben?

Welche "Beeinflussungen" lassen wir in der Schule zu, ist die Botschaft, die eine Lehrerin, die ein Kreuz um den Hals trägt, mit der des Kopftuches gleichzusetzen? Ist es für uns bedeutsam, den gesellschaftlichen Bildungsauftrag von religiöser Beeinflussung zu trennen? Steckt hinter dem Kopftuch und der damit verbundenen Einstellung zu Religion und Staat mehr als ein simples Glaubensbekenntnis? Ob Glaubensbekenntnis oder mehr - wie gehen wir damit in öffentlichen Schulen um? Ist jede Botschaft, die mit dem Kopftuch an unsere Schüler/-innen gebracht werden könnte, mit unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis, z.B. mit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen vereinbar? Vereinbar mit der damit verbundenen Aus- bzw. Abgrenzung?

Es gibt noch viel mehr Fragen, die wir uns stellen müssen. Political correctness ist nicht immer hilfreich beim Herangehen an alle diese Fragen, das Ignorieren von mehr oder weniger versteckten Emotionen bringt auch nicht weiter, sondern eher irgendwann das sog. Fass zum Überlaufen.

Wir als GRÜNE stecken in dieser Diskussion in einer Zwickmühle: Wir sind eine politische Partei mit definierten politischen Positionen und Zielvorstellungen. Und damit vertreten wir in der Öffentlichkeit auch Wähler/-innen, die Weltoffenheit, Toleranz usw. bewusst und begründet gelebt sehen wollen. Auf der einen Seite sind das Menschen, die in dieser Gesellschaft ihre Wurzeln haben, auf der anderen Seite aber auch Menschen, die aus islamischen Ländern zu uns gekommen sind und die die für sie religiös verbrämte politische Botschaft hinter dem Kopftuch weder in ihren Heimatländern noch bei uns akzeptieren wollen. Gerade Frauen können diese Botschaft nicht akzeptieren, die für sie u.a. auch ein Signal der Herrschaft der Männer über Frauen bedeutet. Und die so praktizierte Ungleichheit von Mann und Frau wäre so grundgesetzwidrig. Und genau deshalb müssen wir als GRÜNE die Diskussion um die Definition der gesellschaftlichen Toleranz und die Grenzen der Toleranz führen, weil wir sonst in Gefahr laufen, genau diese Toleranz preiszugeben, bevor sie sich tatsächlich zur Grundlage des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft entwickelt hat - und das nicht nur in Sonntagsreden.

Und vergessen wir auch nicht auf dem Weg zum Umgang mit dem Kopftuch im Unterricht, dass das Ablegen des Kopftuches für viele auch bei uns lebende Muslime ein hoffnungsfrohes Zeichen der Aufklärung im Islam bedeutet.