Die Künstlersozialversicherung in der Bürgerversicherung?

Von Markus Kurth

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 1/2005, 2. Februar 2005

Die GRÜNE Konzeption einer Bürgerversicherung hat Karriere gemacht. Nachdem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon vor Jahren die Forderung nach einer solidarischen Gesundheitsversicherung gestellt haben, die dem Prinzip "Eine von allen für alle" folgt, schlossen sich andere Parteien dieser Debatte an. Ich bin der Überzeugung, dass nach 2006 eine Reform des deutschen Krankenversicherungssystems beginnt, die sich an den GRÜNEN Eckpunkten zur Bürgerversicherung orientieren wird. Sowohl die Erfahrungen aus der Schweiz als auch die zurückliegende Auseinandersetzung zwischen den Unionsparteien zeigen, dass das konkurrierende Modell der "Kopfpauschale" die Frage der solidarischen Finanzierung des Lebensrisikos "Krankheit" offen lässt. Auch das so genannte Kompromissmodell von CDU und CSU mit einer Kombination aus Pauschale und eingefrorenem Arbeitgeberbeitrag kommt nicht ohne Leistungsausschlüsse (z.B. Zahnbehandlung) und gewaltige Steuertransfers aus, die alles andere als gesichert sind.

Gleichzeitig ist der Problemdruck offensichtlich: Die Gerechtigkeitslücken bei der solidarischen Finanzierung unseres Gesundheitswesens müssen geschlossen werden. Die Tatsache, dass sich ausgerechnet die einkommensstärksten und gesündesten zehn Prozent der Bevölkerung nicht an der Finanzierung des solidarischen Systems beteiligen, ist ungerecht und beeinträchtigt die Fähigkeit der Versicherungssystems, die Anforderungen des demografischen Wandels und des medizinisch-technischen Fortschritts zu bestehen. Aus diesem Grund ist es unser Ziel, die gesamte Wohnbevölkerung und alle Einkommensarten in die Bürgerversicherung einzubeziehen, um eine Beitragssatzsenkung sowie eine dauerhafte Stabilisierung der Beiträge zu erreichen. Selbstredend sind diese Umwälzungen auf der Einnahmeseite mit einer noch immer ausstehenden Strukturreform auf der Ausgabenseite zu verbinden. So sind durch einen verbesserten Wettbewerb der Leistungserbringer, wirksame Präventionsmaßnahmen und höhere Qualitätsstandards erhebliche Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu mobilisieren.

Nach unserem Verständnis erfordert das Prinzip der Bürgerversicherung auch, dass mittelfristig alle Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen (Landwirtschaftskassen, Künstlersozialversicherung) in das System der Bürgerversicherung integriert werden müssen. Sonder- und Übergangsregelungen müssen die besonderen Lebensumstände und Erwerbsverhältnisse dieser Versichertengruppen und nicht zuletzt die Finanzlage der betroffenen Spezialkassen berücksichtigen. Der Parteitag der GRÜNEN im Oktober diesen Jahres hat diese Anforderungen in seinem Beschluss zur Bürgerversicherung noch einmal bekräftigt.

Allerdings stellen sich vor dem Hintergrund der Reformdebatten - teilweise unabhängig von der Frage der Bürgerversicherung - Fragen nach der Leistungsfähigkeit und Legitimität von Sondersystemen für bestimmte Berufsgruppen. Die Künstlersozialkasse (KSK) ist wegen der zunehmenden Finanzierungsprobleme bei gleichzeitig außergewöhnlich günstigen Konditionen für die Versicherten in besonderem Maße diesem Leistungsdruck ausgesetzt. Ursprünglich als spezialisierte Nischenversicherung für die überschaubare Zahl von 12.000 Versicherten angelegt, entwickelte sie sich seit 1983 zu einem veritablen Versicherungszweig, dessen Versichertenzahl von mittlerweile rund 140.000 sich mit so mancher Betriebskrankenkasse messen kann. Nach Angaben des Leiters der KSK, Harro Bruns, existiert noch ein Potential von weiteren 80.000 Selbständigen, die einen Anspruch auf Versicherung in der KSK hätten.

Ich persönlich halte sogar einen weitergehenden Anstieg der Versichertenzahlen für wahrscheinlich. Gerade im Bereich der künstlerischen Berufe und in der Medienbranche - mitsamt den Grenzbereichen vom Eventmanagement bis zum Grafiker - wird das sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnis weiter an Bedeutung verlieren.

Sobald wir es jedoch mit Versichertenzahlen in der Größenordnung von mehreren Hunderttausend zu tun haben, drängt sich unweigerlich der Vergleich mit Selbständigen in anderen Branchen und die Frage der Abgrenzbarkeit auf. Ist der selbständige Tontechniker, der eine Anlage einrichtet und steuert, schon ein Künstler? Warum sind Kunsthistoriker, die nicht überwiegend publizistisch tätig sind (etwa als Museumspädagogen) oder sein können, nicht in der KSK?

Und wie sieht die Kabel schleppende Ich-AG oder der freiberufliche Caterer die privilegierte Absicherung der Schauspieler am gemeinsamen Drehort? Schließlich müssen sich die genannten nicht-künstlerischen Berufsgruppen nach dem aktuellen Sozialrecht zu weitaus ungünstigeren Bedingungen selbst versichern. Mit welcher Berechtigung muss sich der selbständige Programmierer, der einem Grafiker die Anwendungsprogramme schreibt, mit fast 300 Euro Mindestversicherungsbeitrag an der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligen (und für seine Rente selbst sorgen) und eben jener künstlerisch tätige (Computer-) Grafiker nicht?

Diese Beispielfälle zeigen, dass Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz der Künstlersozialversicherung mit dem Anstieg von prekären Beschäftigungsverhältnissen im gleichzeitig immer bedeutender werdenden Mediensektor schnell überfordert werden. Kommen dann noch eigentümliche Besonderheiten hinzu, droht aus einer Krise der Leistungsfähigkeit und Akzeptanz schnell eine die Existenz der KSK gefährdende Legitimationskrise zu werden. Lassen Sie mich den advocatus diaboli spielen: Ich denke etwa an das zu Missbrauch einladende Verfahren der Beitragsbemessung auf dem Wege der Selbsteinschätzung der Versicherten. Dem Beobachter stellt sich schon die Frage, ob angesichts der Tatsache, dass nur in Verdachtsfällen eine nachträgliche Überprüfung der Einkommensschätzung der Versicherten erfolgt, nicht ein gewisser Anreiz besteht, das zu erwartende Einkommen notorisch zu gering zu veranschlagen. Auch der Verzicht auf eine Nachzahlungspflicht für den Fall, dass das tatsächlich erzielte Einkommen höher ausfällt als das erwartete, stellt eine sozialpolitische Kuriosität dar, die den regulär gesetzlich Versicherten kaum einleuchten dürfte.

Auf der anderen Seite steht die abgabenpflichtige Seite der Verwerter, die nach den Angaben des KSK-Leiters Bruns vor der Bundestags-Enquete über einen großen Einfallsreichtum zu verfügen scheint, wenn es darum geht, die Abgabenpflicht zu unterlaufen. Gleichzeitig verstärkt die " Rückfallversicherung KSK" die Bestrebungen der großen Medienredaktionen, immer mehr Mitarbeiter in ungesicherte Beschäftigungsformen zu drängen. Ich bin mir sicher, dass die Proteste der betroffenen Journalisten und ihrer Gewerkschaften ungleich lauter gewesen wären, hätte nicht der Notnagel KSK zumindest die sozialrechtlichen Folgen der zurückliegenden großen Entlassungswellen abgefedert. Dieser knappe Problemaufriss macht deutlich, dass es für eine Massenversicherung KSK eine Reihe systematische Defizite gibt, auf die nicht nur im Rahmen der möglichen Überführung der KSK in die Bürgerversicherung Antworten gefunden werden müssen. Wenn erst der erste "Florida-Rolf" der KSK über den Boulevard getrieben wird, könnte es schon zu spät sein. Die schriftlichen Stellungnahmen der Versichertenseite vor der Enquete-Kommission " Kultur in Deutschland" belegen m.E. leider, dass die Versichertenorganisationen nicht gut auf eine früher oder später unvermeidliche Legitimationsdebatte vorbereitet sind.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden den anstehenden Systemwechsel in der Krankenversicherung nutzen, um hier leistungsfähige Modelle zu entwickeln. Die soziale Absicherung von Kulturschaffenden mit niedrigem Einkommen muss auch mit der Bürgerversicherung weiterhin möglich sein. So muss die Finanzierungsbasis des durch Bundeszuschuss und Verwerterabgabe nachgebildeten Arbeitgeberanteils einer "Künstler-Bürgerversicherung" durch eine leistungsgerechte Beteiligung aller Verwerter erweitert werden. Wenn das Arbeitsmarktsegment der Medienberufe weiter an Bedeutung gewinnt, ist nicht einzusehen, dass die Anzahl zahlender Verwerter parallel dazu immer kleiner wird. Gerade die Unternehmen und Verlage, die ihre Mitarbeiter in die KSK drängen, um Sozialabgaben zu sparen, müssen hier ihrer Verantwortung nachkommen. Allerdings wird an einem gewissen Punkt ein durch den Erhebungs- und Verfolgungsaufwand bedingter Grenznutzen auftreten, der den einbezogenen Verwerterkreis begrenzt. Dies legt den Schluss nahe, dass auch in der Bürgerversicherung die Künstlersozialversicherung nur als Absicherung eines eng begrenzten Segments von selbstständigen Künstlern eine Zukunft haben kann. Als Massenabsicherung taugt die KSK nicht - egal wie das zukünftige Versicherungsmodell auch konzipiert ist. Zukunftsfähig und gegenüber allen kleinen Selbständigen vertretbarer ist dann eher ein neuer "Small-business-Selbständigentarif" im Rahmen der allgemeinen Bürgerversicherung.