Brief aus Berlin

Von Markus Kurth

aus: Basisdienst - Informationen aus dem Kreisverband Dortmund 5/2005, 31. Oktober 2005

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe LeserInnen des Basisdienstes,

auch wenn die Bundestagswahl schon gut vier Wochen zurück liegt, möchte ich mich hier im ersten Basisdienst nach der Wahl allen für ihren Einsatz im Wahlkampf bedanken - insbesondere bei denjenigen, die ich nicht in den letzten Wochen persönlich habe ansprechen können!

Zur Lage

Im Vergleich zum Bundestagswahlkampf 2002 war das Engagement nach meinem Empfinden noch einmal deutlich größer. Und das, obwohl

  • nach Lage der Umfragen bereits frühzeitig kein Wahlsieg von Rot-GRÜN und keine Regierungsbeteiligung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu erwarten gewesen war,
  • der Kreisverband Dortmund wie alle in NRW den vierten Wahlgang in gut einem Jahr zu bestreiten hatte,
  • das Ergebnis der Landtagswahl mit 6,5% nicht gerade ermutigend ausgefallen war,
  • auch wir GRÜNEN massiv in der Kritik wegen der Arbeitsmarktreformen standen (trotz der stets eindeutigen und widerständigen Haltung des Dortmunder Kreisverbands und seines Abgeordneten ... ).

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass GRÜN dieses Mal kaum das Funktionsargument des Koalitionspartners im Kampf um die Zweitstimmen ausspielen konnte, sind die 8,1% im Bund, die 7,6% in NRW und die 9,2% in Dortmund klar als Erfolg zu werten. Für die gesamtpolitische Bewertung bleibt meiner Auffassung nach entscheidend, dass CDU/CSU und FDP auch im dritten Anlauf innerhalb von sieben Jahren ziemlich deutlich die Mehrheit verfehlt haben. Auf dieser schlichten Erkenntnis sollten wir bei der Entscheidung über die künftige politische Schwerpunktsetzung aufbauen. Alle Spekulationen über Schwarz-GRÜNE Bündnisse - womöglich noch mit Guidos Neoliberalen - verbieten sich, solange die Unionsspitze in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine Politik verfolgt, die auf die weitgehende Privatisierung der Versicherungen für die großen Lebensrisiken Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit setzt. Es macht überhaupt keinen Sinn, durch virtuelle Koalitionsspielchen einen Kurs aufzuwerten, der nicht nur inhaltlich Misserfolge zeitigt und weiterhin verspricht, sondern auch machtpolitisch erwiesenermaßen untauglich - weil nicht mehrheitsfähig - ist. Dabei hätte ich gar keine prinzipiellen Berührungsängste zur Union. Mit einigen Sozialpolitikern vom CDU-Arbeitnehmerflügel verstehe ich mich persönlich und in vielerlei Hinsicht auch politisch ganz gut. Nur stellen diese eben nicht die Mehrheit in der Union.

Auch haben gerade die Dortmunder GRÜNEN ihren Pragmatismus im Hinblick auf die CDU bewiesen. Nach der Kommunalwahl 1999 gab es für ein Jahr eine förmliche Kooperation mit der CDU auf kommunaler Ebene, die die CDU dann allerdings wieder zugunsten einer großen Koalition aufgekündigt hat.

In der jetzigen Lage ist die Oppositionsarbeit auf Bundesebene unausweichlich und auch eine Chance. Dabei kommt der Partei eine größere Bedeutung zu als in der Vergangenheit. Das Kraftzentrum "Regierungsfraktion" mitsamt ministeriellem Apparat existiert gegenwärtig weder auf Bundesebene noch auf irgendeiner Landesebene. Der Weg zurück an die Macht verläuft über die Kommunen, die Landesverbände und die Bundespartei. Die Bundestagsfraktion wird natürlich auch weiterhin eine dominierende Rolle zu spielen versuchen - und sie des Öfteren wegen des privilegierten Zugangs zu den bundesweiten Medien auch einnehmen. Dennoch sind auch die Bundestagsabgeordneten in Zukunft stärker auf lokale und regionale politische Arbeit angewiesen. Auf Bundesebene werden wir als kleinste Fraktion gegenüber der schrillen Tonlage von Rechtsaußen und Linksaußen nicht immer zu hören sein. Dieses Defizit muss künftig stärker durch Ortstermine, Pressegespräche in der Region und regional organisierte Fachgespräche ausgeglichen werden. Dazu wird in Zukunft auch mehr Zeit sein.

Kleine statistische Bilanz

Eine persönliche statistische Auswertung meines Terminkalenders der letzten 36 Monate hat etwa ergeben, dass ich alleine 325 Termine zu Koalitionsrunden und entsprechenden Vorbereitungsrunden wahrnehmen musste. Das ist zwar sicherlich nicht repräsentativ für alle Abgeordneten, da ich in fast allen der politisch umstrittensten Feldern tätig war, aber dennoch: Diese häufig zeitaufwendigen Koordinierungs- und Verhandlungstermine (meist früh morgens oder spät abends) werden absehbar weniger häufig die Abgeordneten binden. Ich hoffe das zumindest, denn Koordinierungsarbeit bleibt innerhalb der Fraktion noch genug zu tun. Auch das parlamentarische Alltagsgeschäft wird in etwa gleich umfangreich bleiben. In der abgelaufenen Legislatur hat allein mein Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung 113 Sitzungen abgehalten, auf denen 63 Gesetzentwürfe federführend und 115 Gesetzentwürfe mit beratend behandelt sowie abgeschlossen wurden. Als EU-Berichterstatter der GRÜNEN Fraktion für Gesundheits- und Sozialpolitik habe ich in 45 Sitzungen der EU-Berichterstatter insgesamt 255 Vorlagen von Europäischem Rat, EU-Parlament oder EU-Kommission bearbeitet und für die "Fraktionsarbeitsgruppe Gesundheit und Soziales" bewertet. Darunter waren so umfangreiche und politisch brisante Entwürfe wie der immer noch in Abstimmung befindliche Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie, der nach wie vor äußerst kritisch betrachtet werden muss.

Hoffentlich mehr Zeit für Dortmund!

Dass die geringere Inanspruchnahme durch die wegfallende Koalitionsarbeit auch zu mehr Präsenz meiner Person in Dortmund führen wird, ist zu hoffen, aber nicht zu garantieren. Ich nehme mir das zwar fest vor, weil wir auch in Dortmund eine inhaltliche und programmatische Diskussion dringend benötigen. Ich bitte jedoch zu bedenken, dass ein Bundestagsabgeordneter auch bundesweit präsent sein muss. Verbunden waren diese Abendbesuche meist mit kombinierten Orts- und Presseterminen am Tag - insgesamt 119 Einrichtungsbesuche, Pressegespräche und Besichtigungen sind auf diese Weise zusammengekommen.

40 Mal war ich bei verschiedenen Ratsfraktionen, Landtagsfraktionen und auf Parteigremien wie dem Parteirat zu Gast, um entweder zu beraten oder zu referieren. Alle 14 Landes- und Bundesparteitage der Jahre 2002-2005 habe ich mit Anträgen und Reden mit beeinflusst. Beschließen will ich die quantitative Leistungsbilanz mit der Zahl von 210 Fachgesprächen, Auftritten bei Fachkongressen, Verbandsgesprächen oder Bildungsveranstaltungen diverser Vereine und Stiftungen. Warum dieser Zahlenmarathon? Einerseits bin ich natürlich ein bisschen stolz auf dieses Pensum, auch wenn es natürlich zur Arbeit eines Berufspolitikers gehört – ebenso wie die Reisezeit und die Abwesenheit von der Familie, die mit solcher Terminfülle verbunden ist. Andererseits will ich denjenigen im Kreisverband Dortmund, die sich darüber ärgern, dass schon wieder der SPD-Abgeordnete Bülow mit einem Ortstermin beim Kleingartenverein "Hafenwiese" in der Lokalpresse ist, verdeutlichen, dass der Status eines direkt gewählten Abgeordneten einer großen Fraktion nicht vergleichbar ist mit demjenigen eines über die Landesliste gewählten Abgeordneten, der überdies häufig aus einer Minderheitenposition in seiner eigenen Fraktion agieren muss. In der inhaltlichen Profilierung war ich - jetzt mal ganz unbescheiden - auch nicht erfolglos, wenn man sich die Debatte zu Mindestlohn oder die Neuausrichtung im Wahlprogramm 2005 noch einmal in Erinnerung ruft.

Vielleicht macht dies etwas verständlicher, warum ich nicht so häufig in Dortmund präsent sein kann wie es sich viele von Euch wünschen. In den vergangenen Wochen dürften die aufmerksamen LeserInnen der Lokalpresse jedoch bereits festgestellt haben, dass ich die Aufgabe einer stärkeren Präsenz vor Ort nunmehr offensiver aufgenommen habe.

In diesem Sinne freue ich mich auf produktive politische Jahre - in Berlin und mit meinem Kreisverband, den ich in diesem Jahr (auch als Dankeschön für den Wahlkampf) mit einer zusätzlichen Sonderspende von 2500 Euro unterstütze.

Mit GRÜNEN Grüßen

Euer Markus Kurth