GRÜNE im Ruhrgebiet: Für eine bundespolitische Neuorientierung an der Perspektive einer sozialen und ökologischen Gesellschaft

Beschluss des Bezirksrats Ruhrgebiet, 6. Juni 2005

Mit der Niederlage der rot-grünen Regierung bei der Landtagswahl in NRW und der faktischen Selbstauflösung der rot-grünen Koalition im Bund ist eine entscheidende politische Zäsur eingetreten. In dieser Situation eines bevorstehenden Bundestagswahlkampfes treten die GRÜNEN im Ruhrgebiet für eine kritische Bewertung bundespolitischer Reformpolitik und für die Zuspitzung eigenständiger und klarer grüner Konzepte für die drängenden sozialen und ökologischen Probleme ein.

Für die GRÜNEN im Ruhrgebiet ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wie die ökologische und soziale Entwicklung der bevölkerungsreichsten Region NRWs eine der zentralen Aufgaben, die im Bund in den nächsten Jahren zu lösen sein wird. Menschen, egal welches Bildungs- und soziokulturellen Hintergrundes, haben heute Angst vor Arbeitslosigkeit und dem daraus oftmals resultierenden sozialen Abstieg. Wichtige Weichenstellungen müssen deshalb stets mit der Frage verbunden werden, wie wir arbeiten werden.

Die große Unsicherheit, in der viele Menschen leben, hat ein Diskussionsklima geschaffen, das jenseits aller Sachargumente überholte Debatten über Scheingegensätze von Ökologie und Ökonomie ermöglicht. CDU und FDP ist es bei der Landtagswahl gelungen, in diesem Klima zu punkten. Damit droht ein Rückfall in eine politische Debatte der achtziger und neunziger Jahre, die wir uns weder ökonomisch oder sozial, noch umweltpolitisch leisten können. Denn die entwickelten Energie- und Umwelttechnologien sind in den vergangenen Jahren zu einem wesentlichen Arbeitsmarktsegment mit Wachstumspotentialen geworden. Wir dürfen insbesondere in NRW unseren Standortvorteil nicht durch eine kurzsichtige ideologisch motivierte Bundespolitik verspielen. Wir mussten im Landtagswahlkampf allerdings erleben, dass unser Hinweis auf die zahlreichen neuen Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien nicht ausreichend ist.

Für die Menschen im Ruhrgebiet ist die soziale Spaltung der Gesellschaft eine jeden Tag erlebte Realität. Wir werden als GRÜNE im Ruhrgebiet in den kommenden programmatischen Debatten dafür eintreten, dass der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der anstehenden bundespolitischen Auseinandersetzung gestellt wird. Deshalb treten wir als GRÜNE dafür ein, dass alle staatlichen Leistungen armutsfest im Sinne einer Grundsicherung gestaltet werden. Die Regelsätze für die Sozialhilfe, die als Berechnungsmaßstab für das ALG II und die Sozialhilfe gelten, müssen künftig in einem transparenten Verfahren festgelegt und realen Entwicklungen bedarfsgerecht angepasst werden. Armutsfest muss künftig auch ein gesetzlich garantierter Mindestlohn sein.

Die Einsicht, dass Arbeitslosigkeit vor allem durch ein fehlendes Angebot an Stellen auf dem Arbeitsmarkt verursacht ist, ist manchem verloren gegangen. Die Arbeitsmarktlücke wird sich in den nächsten Jahren nicht schließen lassen. Wir treten als GRÜNE deshalb für eine Weiterentwicklung und Korrektur von Hartz IV ein. Schwächen in der Formulierung von Durchführungsbestimmungen wie auch in der Umsetzung für Betroffene müssen bereinigt werden. Wir wollen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes entsprechend des Lebensalters und der Versicherungsdauer verlängern. Die Einschränkungen beim Kündigungsschutz müssen zurückgenommen werden, denn sie schaffen nicht mehr Arbeit, sondern mehr Unsicherheit und Kaufzurückhaltung, die die Binnenkonjunktur zusätzlich bremsen.

Arbeitsmarktpolitik muss der technischen Rationalisierung durch Umverteilung von Arbeit und durch eine Neubestimmung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit zu anderen Formen gesellschaftlicher Arbeit sowie aktive Arbeitsmarktpolitik entgegenwirken.

Im Gegensatz zum schwarz-gelben Gesellschaftsentwurf sehen die GRÜNEN den rasanten Abbau staatlicher Leistungsfähigkeit durch Steuersenkungen und den Abbau staatlicher Lenkungsmöglichkeit nicht als tauglichen Weg für unser Land. Da, wo der Nationalstaat handlungsfähig ist, muss er Fehlentwicklungen korrigieren und korrigieren können. Das heißt auch, dass starke Schultern mehr zu tragen haben als schwache. Sowohl Investitionen als auch Beschäftigung in den entscheidenden Bereichen der Wissensgesellschaft als auch schnell wirkende konjunkturbelebende Maßnahmen sind notwendig. Dies ist in hohem Maße ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit. Die GRÜNEN im Ruhrgebiet treten deshalb für eine Korrektur der Steuerpolitik mit dem Ziel einer Erhöhung der Spitzensteuersätze für Privateinkünfte ein. Wir wollen eine gerechte Erbschafts- und Vermögenssteuer. Die Möglichkeit der Abzugsfähigkeit von Betriebsverlagerungen ins Ausland muss gestoppt werden. Das Vergaberecht muss um soziale und ökologische Kriterien erweitert werden, die solche Unternehmen fördern.

Wir werden uns als RuhrgebietsGRÜNE deshalb auch für das GRÜNE Konzept der solidarischen Bürgerversicherung mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze einsetzen. Krankheit und Pflege müssen gerecht unter Heranziehung so vieler Einkommensarten wie möglich finanziert werden. Auch BeamtInnen, Selbstständige und PolitikerInnen müssen einbezogen werden. Die Kopfpauschale von CDU/CSU bedeutet dagegen, dass ChauffeurIn und ChefIn den gleichen Beitrag für Krankheit und Pflege be-zahlen. Das ist das Gesellschaftsmodell einer individualisierten Gesellschaft, in der jeder sein eigenes Risiko zu tragen hat und damit der Abschied vom solidarischen Gesellschaftsmodell.

Für die GRÜNEN im Ruhrgebiet ist klar, dass der europäische Kontext als Raum für eine soziale Politik unterentwickelt ist. Deshalb brauchen wir eine Initiative für einen europäischen Sozialpakt, der dem derzeitigen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern, Löhne und Sozialstandards Grenzen setzt.

Für die GRÜNEN im Ruhrgebiet ist klar, dass mit der Bundestagswahl im Herbst eine Entscheidung fällt, die die Entwicklung unseres Landes, aber auch unserer Region in entscheidender Weise prägen wird. Wir brauchen in diesem Prozess eine starke GRÜNE Bundestagsfraktion, die GRÜNE Politik in der Opposition oder der Regierung mit der nötigen Stärke vertreten kann. Dafür werden wir geschlossen eintreten, darüber werden wir in den kommenden Wochen die Diskussion mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen suchen.

Einstimmig beschlossen vom Bezirksrat Ruhrgebiet auf Initiative des Bezirksvorstandes am 06.06.05