Flüchtlingspolitik in Dortmund besser gestalten

Antrag der AG Grundrechte + Demokratie im Kreisverband Dortmund zur Mitgliederversammlung am 25. Januar 2006

Die Dortmunder Gesellschaft ist geprägt durch Einwanderung. In dieser Realität geht es um überzeugende Konzepte, Einwanderung weltoffen, integrativ und human zu gestalten. In Dortmund haben MigrantInnen und Flüchtlinge in den letzten Jahrzehnten viel für die Entwicklung der Stadt getan. Der Kreisverband Dortmund von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will dies weiter fördern. Dabei verstehen wir GRÜNEN Integration als einen permanenten und wechselseitigen Prozess, der sowohl Einwanderer als auch Mehrheitsgesellschaft verändert. Wir verschließen dabei nicht die Augen vor den damit einhergehenden Problemen.

Integration als permanenter Prozess

Die Pluralisierung der Gesellschaft ist nicht zuletzt mit der Einwanderung vorangeschritten. Vielfalt ist in Dortmund sichtbar geworden - ob in den Einkaufstraßen, den Klassenzimmern oder auf den Standesämtern, wo inzwischen nahezu jede fünfte Eheschließung einen Migrationshintergrund hat. Ziel der Dortmunder GRÜNEN ist es, Migrantinnen und Migranten eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben zu ermöglichen.

Allerdings verbirgt sich vielfach hinter einer wahrgenommenen kulturellen Differenz eine soziale Spaltung. Nicht zuletzt die Pisa-Ergebnisse haben gezeigt, dass nicht "die Migrantenkinder" schlechter abschneiden, sondern die Kinder aus bildungsfernen Familien mit geringeren sozialen und materiellen Ressourcen. So gilt es den sozialen Frieden in der Stadt zu stärken, in dem auch das Miteinander zwischen den EinwohnerInnen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft gefördert wird.

Integrationskonzepte für Flüchtlinge entwickeln

Eine große Gruppe der Migrantinnen und Migranten sind Flüchtlinge: AsylbewerberInnen, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge und Personen im ungeregelten Verfahren. GRÜNE Politik will Rechtssicherheit für viele dieser Menschen. Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, das Recht, mit der eigenen Familie zusammenzuleben, gleichberechtigte Zugänge zu Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt können Migrantinnen und Migranten die Sicherheit geben, gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft zu sein. Wir wollen die erweiterten Handlungsmöglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes auch in Dortmund nutzen, in dem bei Flüchtlingen der "Status der Duldung" in Aufenthaltserlaubnisse übergeleitet wird und die Möglichkeit der Härtefallregelung institutionalisiert wird.

Möglichkeiten einer Aufenthaltsgewährung in Härtefällen nutzen

In Dortmund leben gegenwärtig 1201 Flüchtlinge mit dem "Status der Duldung". Darunter sind viele durch sog. Kettenduldungen seit vielen Jahren in Dortmund. Diese Menschen müssen die Möglichkeit erhalten, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erhalten. Sie sind zur Zeit in ihrer Planungsperspektive abhängig von den Beschlüssen der jeweils nächsten Innenministerkonferenz, d.h. sie sind permanent von Abschiebung bedroht. Ordnungspolitisch kann die kommunale Ausländerbehörde eine Abschiebung veranlassen.

Diese für die "langjährig geduldeten" Menschen unsichere Lebenssituation wiegt umso schwerer, da die Mehrzahl von ihnen inzwischen feste Bindungen in unserer Gesellschaft haben. Sie haben sich trotz ihres ungeklärten Aufenthaltsstatus eigenständig und oft mit Erfolg um die Verbesserung ihrer Sprache, eine Wohnung, einen Arbeitsplatz sowie um Schule und Ausbildung bzw. Studium ihrer Kinder gekümmert. Sie nehmen so am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben Dortmunds teil. Diesen Menschen gilt es eine gleichberechtigte Teilhabe an unserer Gesellschaft anzubieten und sie nicht stetig mit Abschiebung zu bedrohen, sie damit ein weiteres Mal aus ihrer neu gewonnenen Lebensumgebung herauszureißen und einer neuen unsicheren Zukunft in den Herkunftsländern auszusetzen.

In Dortmund bekannt ist das Beispiel der Familie Mulla, die 1993 aus dem Kosovo geflüchtet war. Der individuelle, solidarische Kraftakt, den einzelne DortmunderInnen mit Zivilcourage, langem Atem und einem positiven Ausgang für die Familie vollbrachten, ist mit dauernder Wiederholung, realistisch gesehen, nicht machbar.

Die "Kettenduldungs-Praxis" sollte nach politischem Willen mit dem Paragraphen 25.4 des Zuwanderungsgesetzes ab dem 01.01.2005 abgeschafft sein. Der genannte Paragraph ermöglicht der Ausländerbehörde, ihren rechtlichen Ermessensspielraum auszuschöpfen; einen zeitlich begrenzten Aufenthaltstitel zu erteilen, um unmenschliche Härten zu vermeiden, z.B. für einen Schulbesuch oder aus dringenden medizinischen Gründen. Rechtliche Grundlage für die Härtefallkommision stellt die bis zum 31.12.2009 befristete Rechtsverordnung Paragraph 23a des Aufenthaltgesetzes dar. Die Härtefallkommission ersucht die Ausländerbehörde, einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen als Ausnahme vom Recht anzuordnen. Die Landes-HFK in Düsseldorf tut dies mit Erfolg: von 88 Ersuchen auf Erteilung eines Aufenthaltstitel haben die Ausländerbehörden 82 Ersuchen entsprochen. Allerdings sind diese Verfahren fern ab vom Wohnort kompliziert und langwierig.

Deshalb fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Dortmund eine Diskussion über eine "Lokale Härtefallkommission" als kommunalpolitisches Instrument und werden den Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen suchen. Da die Entscheidung über ein Aufenthaltsrecht bei der Kommune liegt, lassen sich Lösungsmöglichkeiten vor Ort situationsangemessener und schneller realisieren. Eine Dezentralisierung der HFK-Aktivitäten, wie sie bereits in den Städten Mülheim, Bonn, Aachen, Unna und Düren sowie in den Landkreisen Aachen und Düren praktiziert wird, entlastet nicht nur die Landes-HFK in Düsseldorf, sie bedeutet vor allem Zeitgewinn für die Betroffenen, die unter einem unmenschlichen Druck auf die Entscheidung warten. Von Kommissionsmitgliedern vor Ort, mit genauen Kenntnissen der jeweiligen Sachlage und direkter Beteiligung der Ausländerbehörde sind die unbestritten vorhandenen Spielräume zur Erteilung von Aufenthaltstiteln viel individueller und schicksalsbezogener nutzbar.

Nicht zu vernachlässigen ist der Öffentlichkeitsaspekt einer lokalen HFK. Die Flüchtlingsproblematik in ihrer menschlichen und politischen Kompliziertheit ist sichtbarer, Dortmunder BürgerInnen sind als Kommissionsmitglieder in die Debatte eingebunden.

Die große Zahl der langjährig in Dortmund lebenden "Geduldeten" kann jedoch nicht alleine einer Härtefallkommission überlassen werden. Wir Dortmunder GRÜNEN werden uns auf Landesebene dafür einsetzen, dass die Menschen, die über 5 Jahre in der Bundesrepublik leben hier bleiben und arbeiten können. Gerade bei hier aufgewachsenen Kindern ist eine Rückkehr nicht mehr zumutbar und kann auch nicht im Interesse der Dortmunder Gesellschaft liegen.

Die Unterbringung von Flüchtlingen entscheidet über Integration

In Dortmund gibt es zwei Wohnheime für Flüchtlinge, in denen ungefähr 180 Menschen leben. Die Verweildauer in den Wohnheimen beträgt überschlägig zwischen 2 Monaten und drei Jahren. Es ist davon auszugehen, dass große Teile der zugezogenen Flüchtlingsbevölkerung mittel- bis langfristig in Dortmund bleiben werden. Es werden in diesen Einrichtungen Konflikte produziert, die in Wohnheimen mit abgeschlossenen Wohnungen bzw. Regelwohnungen nicht entstehen können. Ziel der Dortmunder GRÜNEN ist es daher, dass den Flüchtlingen individuell angemessener und richtiger Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. Dabei soll die Unterbringung von Flüchtlingen nach Möglichkeit gleichmäßig in allen Dortmunder Stadtteilen erfolgen. Die Konzentration von Flüchtlingseinrichtungen in einem einzelnen Stadtteil ist zu vermeiden.

So könnten nach einer angemessenen Aufenthaltsdauer im Wohnheim (ca. drei Jahre) die Flüchtlinge (bei entsprechend günstiger Prognose hinsichtlich ihres Wohn- und Sozialverhaltens, keine Straftatbestände etc.) eine Privatwohnung beziehen. Ein solcher Schritt in Richtung "Normalität", würde die Situation in den Wohnheimen entlasten und gleichzeitig die Unterbringungskosten in Wohnheimen senken.

Wohnraum ist auch ein soziales Symbol, das eine deutende Zuordnung zu sozialen Schichten sowie negative oder positive Typisierungen seiner BewohnerInnen nahe legt. Daher setzen wir GRÜNEN uns dafür ein, dass für diese Flüchtlingswohnheime die Struktur einer begleitenden ehrenamtlichen Arbeit aufgebaut wird. Ziel sollte es sein, eine positive Anbindung der Wohnheime an den Stadtteil durch stadtteilorientierte Arbeit, Konfliktberatung und Erschließung der soziokulturellen Infrastruktur (Einkaufen, Kultur, Bildung) zu erzielen. Dazu gehört auch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit über neue Fakten (Veränderte Anzahl der Bewohner, Umbauten usw.), um dem Entstehen von Gerüchten vorzubeugen und Anonymität abzubauen. Darüber hinaus sollten kooperative stadtteilbezogene Aktivitäten unter Einbindung der WohnheimbewohnerInnen durchgeführt werden (bei Straßenfesten, Kinderfesten, Kulturellen Veranstaltungen).

Flüchtlings-Kinder und - Jugendliche konsequent fördern

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Dortmund wollen für die Gruppe der Flüchtlinge erreichen, dass für die 3 bis 6-jährigen Flüchtlingskinder eine möglichst weitgehende Versorgung mit Kindergartenplätzen sichergestellt wird, dass für die 6 bis 16-jährigen Flüchtlingskinder und - jugendlichen eine Beschulung ermöglicht wird, und dass für Flüchtlingsjugendliche ab 16 Jahre Angebote zu schulischen und berufsbezogenen Bildungswegen bedarfsgerecht weiterentwickelt und angeboten werden.

Überlegenswert sind muttersprachliche Mentoren, die als eine Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Flüchtlingsarbeit fungieren könnten, um den Jugendlichen zu helfen, die besonders belastende Erinnerungen und Erfahrungen zu bewältigen haben, wie die Opfer von Zwangsprostitution oder ehemalige Kindersoldaten.

Besonders prekär ist die Lage von jugendlichen Flüchtlingen, die im rechtlichen Status der "Geduldeten" leben. Bedingt durch das Nachrangprinzip im Zuwanderungsgesetz und das geltende Sozialgesetz beziehen sie weder Ausbildungsförderung noch Leistungen nach dem SGB II. Studierende erhalten kein Bafög.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen weiterhin für eine weltoffene, moderne, humanitären Grundsätzen verpflichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. Dieses Zuwanderungsgesetz ist der Anfang, nicht das Ende auf dem Weg in die Einwanderungsgesellschaft.