Mohamed Aziz Bangoura droht Abschiebung in den Tod

Offener Brief an Jürgen Rüttgers und Ingo Wolf, 19. Januar 2007

An den
Ministerpräsidenten des Landes NRW
Herrn Dr. Jürgen Rüttgers
Staatskanzlei des Landes NRW
40190 Düsseldorf

An den
Innenminister des Landes NRW
Herrn Dr. Ingo Wolf
Innenministerium NRW
40190 Düsseldorf

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Innenminister,

wir möchten Sie durch diesen Offenen Brief informieren über das persönliche Schicksal eines Menschen, der nach Deutschland geflohen ist in der Hoffnung, dass ihm hier Schutz vor politischer Verfolgung gewährt werden würde. Stattdessen droht ihm eine Abschiebung in den Tod.

Wir sind uns sicher, dass Sie die Möglichkeiten haben, hier aus humanitären Erwägungen aber auch aufgrund der rechtstaatlichen Grundsätze und Grundrechtsgarantieren unserer Demokratie zu helfen. Es darf nicht sein, dass Menschen in ein Land abgeschoben werden, wo sie bereits in Erwartung der bevorstehenden Abschiebung verurteilt worden sind wegen Handlungen, die in unserem Rechtstaat zu den selbstverständlichen Grundrechten gehören: das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Wir bitten Sie daher aufs dringlichste sich für Herrn Mohamed Aziz Bangoura einzusetzen und seine für den 2. Februar 2007 geplante Abschiebung zu verhindern.

Wir appellieren an Sie: Verhindern Sie eine Abschiebung in den Tod, auch wenn sie nach bestehendem Recht möglich sein sollte.

Zum Fall Mohamed Aziz Bangoura

Mohamed Aziz Bangoura hatte sich im November 2001 in Conakry, Guinea, an Kundgebungen beteiligt, um gegen ein Verfassungsreferendum des guineischen Staatspräsidenten zu demonstrieren. Polizei und Sicherheitsbehörden reagierten mit äußerster Brutalität, Verfolgungen und Inhaftierungen. Gegen Herrn Bangoura wurde ein Strafverfahren vor einem Gericht in Céans eingeleitet. Herr Bangoura fürchtete um sein Leben und floh außer Landes.

In Deutschland beantragte er Asyl, sein Antrag wurde negativ beschieden. Im März 2006 wurde er zur Feststellung seiner Identität und zur Ausstellung der für eine Abschiebung nötigen Papiere zur Sammelanhörung in die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Dortmund vorgeladen. Hier nahm Herr Bangoura u.a. am 20.3.2006 an einer von Flüchtlingsinitiativen angemeldeten mehrstündigen Kundgebung vor der ZAB Dortmund teil. Im Gebäude der ZAB war bereits die von Herrn N'Faly Keita geführte Delegation anwesend, vermutlich hatte Herr Keita Gelegenheit die Teilnehmer der Kundgebung in Augenschein zu nehmen.

Wenige Tage nach der Kundgebung wurde Herr Bangoura der guineischen Delegation in der ZAB Dortmund vorgeführt, welche Herrn Bangoura als Guineer identifizierte und die eine Abschiebung ermöglichenden Passersatzpapiere ausstellte.

Am 11. August 2006 nahm Herr Bangoura an einer Kundgebung vor dem Innenministerium in Düsseldorf teil. Diese Kundgebung war u.a. angemeldet worden von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Bilder dieser Kundgebung und ihrer Teilnehmer waren im WDR-Fernsehen zu sehen.

Beide Kundgebungen richteten sich in erster Linie nicht gegen Herrn Keita, sondern kritisierten die Abschiebepraxis der deutschen Behörden, die Praxis der Sammelanhörungen in Hamburg und Dortmund und die Zusammenarbeit der Behörden mit Beamten eines diktatorischen Regimes. Zudem informierten die Kundgebungsteilnehmer über die Lage der Menschenrechte in Guinea, über die politischen und sozialen Verhältnisse und forderten demokratische und soziale Reformen.

Am 24. Oktober 2006 fand in Conakry ein Strafprozess statt. Angeklagt waren in Abwesenheit (aber in Kenntnis der bevorstehenden Abschiebung) Herr Bangoura und sein nächster in Guinea lebender Verwandter (sein Onkel und Adoptivvater), der zu diesem Zeitpunkt bereits inhaftiert war.

Vorgeworfen wurde Herrn Bangoura dieses: Er sei in Deutschland Rädelsführer "einer organisierten Bande, deren einziges Ziel darin bestand, einen Anschlag gegen ihn (Anm.: Herrn Keita) zu verüben", um dessen Mission zu beenden. Weiterhin soll Herr Bangoura den Herrn Keita in Dortmund überallhin verfolgt und Todesdrohungen wiederholt haben. Deshalb habe Herr Keita vorzeitig seinen Aufenthalt abbrechen müssen. Des weiteren wurde Herrn Bangoura vorgeworfen, Herrn Keita mehrmals im Laufe des Jahres 2006 mit dem Tode gedroht zu haben.

Das Urteil: zwei Jahre Gefängnis und 400.000 guineische Francs Geldstrafe. Als Nebenkläger bzw. Privatkläger war an diesem Verfahren Herr Keita persönlich beteiligt. Ihm wurde vom Gericht als Wiedergutmachung für "erhebliche materielle und immaterielle Schäden" die stattliche Summe von 20 Millionen guineischer Francs zugesprochen.

Dies Urteil bedeutet für die Angeklagten nicht nur eine unbestimmte Zeit im Gefängnis, als Regimekritiker droht beiden Gefahr für Leib und Leben. Für die Familie in Guinea bedeutet das Urteil den finanziellen Ruin.

Aufgrund der erheblichen Gefährdung des Herrn Bangoura hat dessen Anwalt nach Bekanntwerden des neuen Sachverhalts am 13. Dezember 2006 einen Asylfolgeantrag gestellt.

Dieser wurde in der vergangenen Woche abgelehnt mit der Begründung, sowohl das Urteilsdokument als auch das dargestellte Verfahren entspräche nicht den üblichen Rechts-Standards, das Dokument sei von einer juristisch ungeübten Person verfasst und nicht authentisch.

Unverständlich für uns ist die augenscheinliche Eile, mit der die Ausländerbehörde Rhein-Sieg-Kreis nun die Abschiebung durchsetzen möchte. Herr Bangoura und sein Anwalt haben so keine Chance die Dokumente zu besorgen, die wesentlich zum Nachweis der Authenzität des Urteilsdokumentes beitragen können. Diese Dokumente müssen aus Conakry besorgt werden. In Anbetracht der derzeitigen landesweiten Streiks und der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Conakry, dem zeitweiligen Ausfall von Energieversorgung und Telekommunikation werden diese Bemühungen zusätzlich erschwert und sind zeitintensiv.

Eine erhebliche Härte für Herrn Bangoura stellt zudem die Tatsache dar, dass er mitten aus der EQUAL-Qualifizierungsmaßnahme Sprakum in Wuppertal herausgerissen wurde. Herr Bangoura hat dort im Oktober 2006 das zweite Modul erfolgreich absolviert, nach Aussagen eines Dozenten würde Herr Bangoura diese Maßnahme erfolgreich abschließen. Es sei – so haben wir von dort erfahren – unüblich, Teilnehmer aus derartigen Maßnahmen heraus abzuschieben.

Auch die Leitung der ZAB Dortmund hatte bei einem Gespräch im März 2006 darauf hingewiesen, dass man im Zusammenhang mit Qualifizierungsmaßnahmen großzügig verfahren könne.

Somit droht Herrn Bangoura schon in wenigen Tagen die Abschiebung nach Guinea und Inhaftierung am Flughafen Conakry. Nach unseren Erkenntnissen, den Erkenntnissen seines Anwalts und den Erkenntnissen von mit diesen und ähnlichen Sachverhalten vertrauten Organisationen wird dies eine Abschiebung in den Tod.

Begründung

Die in Conakry mutmaßlich von Herrn Keita erhobenen Vorwürfe sind in der Tat absurd. Auf keiner der Kundgebungen wurde Herr Keita mit dem Tode bedroht, er wurde weder verfolgt noch wurde seine Mission in Dortmund vorzeitig beendet oder auch nur in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Es liegt auf der Hand, dass dieses Urteil eine gezielte Warnung ist, weiterhin gegen Herrn Keita auszusagen, dem – sollten seine Missionen in Europa nicht mehr möglich sein – natürlich erhebliche materielle Verluste entstehen.

Auch wir sehen in dem vorgelegten Urteilsschreiben weder rechtsstaatliche noch juristische Mindest-Standards erfüllt: es werden keine Beweise genannt, es gibt keine Hinweise auf eine Verteidigung etc. Allerdings sehen wir hierin und in anderen Merkmalen keinen Grund, die Authentizät des Dokuments und die Gefährdung des Herrn Bangoura anzuzweifeln.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge irrt, wenn es davon ausgeht, in Guinea würde eine mit Deutschland oder Frankreich vergleichbare Justiz praktiziert. Nach Auskünften von mit guineischer Justiz vertrauten Anwälten und Organisationen existiert in Guinea kein Rechtssystem, das mit dem unseren vergleichbar wäre. Professor Mamadou Billo Sy Savané aus Rouen, Frankreich, schrieb in diesem Zusammenhang an die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, es sei eine Beleidigung für die französische Justiz, mit den Zuständen in Guinea gleichgesetzt zu werden. Das Rechtssystem in Guinea bestehe aus Scheininstanzen, es werde gezielt vom Präsidenten und einflussreichen Regierungsbeamten manipuliert.

Die international anerkannte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet in ihrem umfangreichen Bericht vom August 2006 (s. Anlage) von Personen, die in Conakry seit Jahren inhaftiert sind, ohne jemals einen Richter gesehen zu haben.

Guinea ist kein Rechtsstaat. Mitarbeiter von Human Rights Watch sind im og. Bericht zu einem erschreckenden Fazit gekommen: "Die Regierung Guineas erlaubt den Sicherheitskräften des Landes die Anwendung brutaler Gewalt und die Praktizierung von Folter." Opfer sind sowohl Menschen, denen kriminelle Straftaten vorgeworfen werden, als auch Angehörige der politischen Opposition. Erwünschte Geständnisse würden durch Folter erpresst. In Guinea herrsche - so Human Rights Watch - eine alltägliche und fest verankerte Kultur polizeilicher Brutalität ("entrenched culture of police brutality").

Human Rights Watch beklagt, dass die Zustände in den Polizeistationen und Gefängnissen von der internationalen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen und untersucht würden. So ist es kein Wunder, wenn Entscheidungen deutscher Behörden in Ermangelung auch nur eines Erkenntnisinteresses auf Annahmen fußen, die nicht den Tatsachen entsprechen. Das heutige Guinea ist weit davon entfernt, eine Demokratie zu sein; Guinea ist für abgeschobene Flüchtlinge kein sicheres Land; in Guinea existiert keine mit unseren Standards gleichzusetzende Justiz.

Human Rights Watch betont, dass Verstöße gegen die Menschenrechte, Folter und Gewalt in Guinea nicht abgeschafft wurden. In Anbetracht dieses Sachverhalts sind wir auch von Aussagen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und der guineischen Opposition überzeugt, dass insbesondere Regimegegner nach wie vor ihres Lebens nicht sicher sein können und dass nach wie vor Menschen "verschwinden".

Walter Angst, der seit Jahren für Flüchtlingsorganisationen in der Schweiz recherchiert, beschreibt die Zustände in Guinea in seinem im Dezember 2006 in einer Themenbeilage der schweizerischen Zeitschrift 'antidot' erschienenen Beitrag "Charter nach Conakry" wie folgt: Guinea "wird von einer Clique regiert, die das Land systematisch ausplündert. Wer sich dieser Clique in den Weg stelle, habe nichts Gutes zu erwarten." Die Behörde, der Herr Keita vorstehe, sowie die beteiligten Sicherheitsbehörden "seien jederzeit bereit, Menschen verschwinden zu lassen. Eine Darstellung, die auch von unabhängiger Seite bestätigt wird."

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Langhorst
Sprecher
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dortmund

Heinz Schröder
AG Grundrechte und Demokratie
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dortmund