Rahmenbefehl zur Überwachung von Bürgerbewegungen am Beispiel von Stuttgart 21

Rede von Ulrike Märkel auf der Demonstration zum "Internationalen Tag der Privatsphäre"

Samstag, 23. Februar 2013, Reinoldikirchplatz

Ulrike Märkel

Liebe Protestierende,

wir sind nicht Stuttgart - aber auch nicht so weit weg, wie man es sich im Fall Stuttgart 21 und dem Rahmenbefehl erkennen kann. Was einst nur in Bayern zu Strauß Zeiten möglich schien, ist nun in Baden-Württemberg Realität geworden. Der SPD-Innenminister Reinhold Gall hat im Zusammenhang mit den Stuttgart 21-Bürger-Protesten klammheimlich und am gewählten Parlament vorbei den Rahmenbefehl verlängert.

Das ist ein dramatischer Schritt in einem Rechtsstaat, denn durch die Verlängerung des zunächst vom CDU-Innenminister erlassenen Rahmenbefehls wurde die Demokratie durch den SPD-Innenminister ein zweites Mal doppelt beschädigt. Zum einen wurden die gewählten Volksvertreter nicht informiert und zum anderen ist der Rahmenbefehl in seiner Formulierung selbst rechtsstaatlich höchst bedenklich: Er sieht die Überwachung der Stuttgart 21-Bewegung durch offene aber auch verdeckte Ermittlungen durch die Landespolizeidirektionen, durch das LKA und durch den Verfassungsschutz vor. Dies erscheint fast wie eine Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Interessen mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes und der Sicherheitsbehörden. Der Rahmenbefehl ist nichts anderes als die Kontrolle des demokratisch legitimierten Widerstandes, die pauschale Kriminalisierung von protestierenden Bürgern und Bespitzelung im großen Umfang.

Was aber passiert konkret, wenn sich ein Staat geradezu paranoid gegenüber seinen Bürgern verhält?

  • Er erstellt zum Beispiel fortlaufend - das heisst im 3-Wochen-Rhytmus - Gefährdungslagebilder von seinen Bürgern, die er als "potentieller Störer" tituliert.
  • Er durchsucht die Wohnungen in Abwesenheit der Bewohner, wie beim ehemaligen Richter und Staatsanwalt Richtener. Er hatte die ihm zugespielten Geheimdokumente (den Rahmenbefehl) aus Gewissensgründen an die Öffentlichkeit gebracht.
  • Er beobachtet unter erheblichen finanziellen und personellen Aufwand alle denkbaren Protestformen und Versammlungen.
  • Und allein basierend auf der reinen Vermutung, dass sich der bürgerlich getragene Protest aufgrund des Volksentscheides zurückzieht, fabuliert man - ich zitiere: "Der verbleibende Teil der sich an Aktionen beteiligten Personen, könnte insofern in den Protestformen radikalisiert werden". Und weiter: "In diesem Zusammenhang kann eine Zunahme extremistischer Einflüsse nicht ausgeschlossen werden." (Den Original-Text findet man im Internet)

Liebe Demonstrierende, das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen. Rechtsstaatlich bedenkliche Mittel werden aufgrund von reinen Vermutungen und Konjunktiven eingesetzt.

Und was meint der Rahmenplan mit "sonstigen Protestformen" als Aktionen, die er nun überwachen und beobachten möchte? Zum Beispiel so unglaublich radikale und hochgefährliche Aktionen wie "sich an Bäume anketten". Oder das Projekt "Sport und Aktiv für Stuttgart 21 - Läufer, Inliner, Radfahrer und Fußgänger für S21". Mit der Gefährdungsstufe 5 wird bewertet, wenn sich Parkschützer in Bahnhofsnähe zu einem "Parkgebet" versammeln, sprich ein paar Bürger gemeinsam öffentlich beten. Die Daten dazu werden detailliert mit Namen erfasst. Hier wird staatliche Kontrolle zu einem absurden Mittel der Beschränkung des in der Verfassung festgelegten Versammlungsrechtes der Bürger.

Passend zum Tag des Datenschutzes - und zu diesem Anlass stehen wir ja hier - hat der Stuttgarter GRÜNE Kreisverband eine Resolution herausgegeben und fordert vom zuständigen SPD-Innenminister Reinhold Gall, den Rahmenbefehl zur Überwachung der S21-Bewegung unverzüglich aufzuheben.

Wir Dortmunder GRÜNEN solidarisieren uns mit dieser Resolution und möchten nicht, dass die schwäbische Variante zu einem Testballon für den Umgang mit Protesten gegen Großprojekte in der Bundesrepublik wird und Schule macht. Denn wenn zugelassen wird, dass ein schwäbisches Innenministerium seine Kernaufgaben nicht mehr wahrnimmt und den Datenschutz und das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Hintertür - am Parlament vorbei - massiv einschränkt, dann können wir das nicht hinnehmen. Wir hoffen dass in die WutbürgerInnen nun zu MutbürgerInnen werden und sich gemeinsam mit den GRÜNEN gegen den Rahmenbefehl wehren.

Denn wenn der Verfassungsschutz anstatt unsere Verfassung vor ihren Feinden zu schützen, den Staat vor seinen Bürgern schützen möchte und protestierende Bürger zum Feind des Staates erklärt wird, dann ist unsere demokratische Grundordnung tatsächlich gefährdet.

Danke.